Einander ohne Vergangenheit annehmen

In meinem Dienst, schreibt Pastor Kemner, kam einmal eine Frau zu mir, die in tiefe Verstrickungen von Sünde und Schuld gefallen war. Als sie vor mir saß, meinte ich, eine ordentliche Kopfwäsche könnte nicht schaden. Meine Worte wurden gesetzlich und hart. Der Ton wurde scharf, und die Liebe und das Erbarmen fehlten. Mit hochrotem Kopf verließ die Frau das Zimmer. Sie wurde in der Kirche nicht mehr gesehen. Aber als eines Tages Corrie ten Boom, die holländische Evangelistin, hier sprach, wurde eben diese Frau von dem Wort, das in Liebe bezeugt wurde, getroffen. Es demütigte mich sehr, dass sie dann doch wieder zu mir in die Seelsorge kam, und mir wurde meine pharisäische Selbstgerechtigkeit erschütternd deutlich. Die Frau wurde eines der treuesten Glieder unseres Mitarbeiterkreises. Einige Zeit später fragte sie mich: "Herr Pastor, was die anderen über mich denken, ist mir egal; aber von Ihnen möchte ich wissen, ob Sie mich ohne Vergangenheit sehen können." Ich konnte ihr nur antworten: "Jesus sieht uns ohne Vergangenheit. Ich lerne, die Menschen mit den Augen Jesu zu sehen."

Quelle: Hört ein Gleichnis, Heinz Schäfer, Beispiel 452
© Alle Rechte vorbehalten