Ein tschechischer Kommunist über die Bibel

Vor Jahren erschien das Buch des tschechischen Kommunisten Vitezslav Gardavsky "Gott ist nicht ganz tot". Hier spricht jemand über Religion und Atheismus, der aus dem Gedankenraum des dialektischen Materialismus kommt. Er bezeichnet sich auch selber als Atheisten und ist davon überzeugt, dass er es ist. Aber dieser Marxist liest nun die Bibel. Er liest sie unbefangen, gleichsam neugierig. Er ist in keiner Weise belastet durch irgendeine christliche Tradition. Da er die Bibel durch die marxistische Brille liest - genauso, wie die Griechen und die Juden und die alten Germanen zu ihrer Zeit ja auch ihre Spezialbrille hatten -, ergeben sich oft wunderliche, manchmal auch faszinierende Perspektiven. Es kommt, so könnte man sagen, zu einer Verfremdung des Bibelbuchs, die ganz neue Anstöße des Verstehens vermitteln kann. "Dieses Buch" - gemeint ist die Bibel - "wird schwerlich ganz in Vergessenheit geraten", sagt er, "die Menschen werden auch kaum jemals ihm gegenüber ganz gleichgültig werden." Und ein anderes Mal: Die Bibel "ist zu jenen Büchern zu rechnen..., die man gelesen haben muss, wenn man nicht ärmer sein will als andere Menschen".
So hat denn das ewige Wort, das in diesem Buche enthalten ist, seine Geschichte mit Gardavsky begonnen - eine Geschichte, wie sie immer von höherer Hand in Gang gesetzt wird, wenn jemand nur bereit ist, sich damit einzulassen. 
(Helmut Thielicke, 1908-1986)

 

Quelle: In Bildern reden, Heinz Schäfer, Beispiel 1069
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