Ein segensreicher Streich
Es war ein warmer, sonniger Sommertag. In dem weiten Genfer See, dessen Oberfläche kein Wind kräuselte, spiegelten sich die fernen, hohen Berge der französischen Schweiz. Die Lerchen stiegen hoch in die Luft, man sah sie kaum schweben, doch ihr Gesang tönte von allen Richtungen her und vermischte sich mit dem lauten Gezirp der Grillen, die vor ihren kleinen Höhlen musizierten.
In angeregtes Gespräch vertieft, schritten Prof. Durand und ein wohlhabender, junger Engländer in der Gegend von Lausanne einen einsamen Feldwege entlang. Sie hatten keinen Blick für die Schönheiten der Landschaft, kein Ohr für den Lobpreis der kleinen Geschöpfe, ihre Gedanken waren völlig von den ernsten Fragen eingefangen, die sie bewegten.
Mitten in der Unterhaltung sah der Student zufällig am Rand eines Ackers ein Paar klobige, alte Schuhe stehen, die anscheinend einem armen Tagelöhner gehörten, der weit hinten emsig arbeitete, aber wahrscheinlich recht bald zum Mittagessen heimkehren würde.
"Herr Professor", sagte der Student lachend, "wir wollen dem Manne einen kleinen Streich spielen."
Durand schaute fragend auf: "Was gedenken sie zu tun?"
"Nun, wir könnten die jämmerlichen Schuhe verstecken. Wert sind sie sowieso nichts. Dann verbergen wir uns dort in dem dichten Gebüsch und haben unseren Spaß an der Verzweiflung des Mannes, wenn er seine Kloben nicht mehr findet."
Der Professor lächelte, als er antwortete: "Warum, mein junger Freund, sollen wir uns auf Kosten dieses Armen belustigen? Das ist nicht richtig. Aber ich schlage einen etwas würdigeren Scherz vor. Legen sie in jeden Schuh einen Taler. Dann wollen wir uns, wie sie erwähnten, dort im Gebüsch verbergen und uns an der Überraschung des Mannes erfreuen."
Der junge Engländer tat nach den Worten Durands, und dann zogen die beiden unauffällig in das nahe gelegene Gebüsch zurück. Es dauerte auch gar nicht lange, bis der Tagelöhner kam. Er war müde von der Arbeit und von der Sonne, zog seinen mehrfach geflickten Kittel an, setzte sich an den Wegrand und wollte in die Schuhe schlüpfen. Aber das ging nicht ohne weiteres. "Wird wohl ein Stein sein", dachte er und stülpte den ersten Schuh um. Wie verwunderte er sich aber, als ihm ein Taler entgegenblickte! Er staunte nicht schlecht, drehte das Geldstück von einer Seite auf die andere, besah es sich von vorn und hinten und konnte sich nicht satt an ihm sehen, so als habe er sein Lebtag noch nicht solch einen Wert in der Hand gehalten.
Jetzt schaute er sich um, ob er denn auch alleine sei, und da er niemanden in der Nähe sah, steckte er das Geld sorgfältig in die Tasche. Nun wollte er den zweiten Schuh anziehen. Aber auch in ihm lag etwas Hartes. Mit grenzenloser Verwirrung fühlte er, dass es sich um einen zweiten Taler handelte. Er nahm ihn heraus, und da er wiederum keinen Menschen erblicken konnte, wurde er von einem Gefühl kindlicher Dankbarkeit überwältigt. Er fiel auf die Knie und rief aus:
"O Gott, du wusstest, dass meine Kinder kein Brot haben und dass mein Weib krank liegt. Da hast du mir, guter, himmlischer Vater, dieses Geld zugesandt. Nun erkenne ich recht, wie gut du bist. Bis zu meinem Tode möchte ich nicht aufhören, dir für deine Liebe zu danken!"
Die beiden Spaziergänger verhielten sich in ihrem Versteck ganz still. Der Tagelöhner ging dann nach Hause zu seiner kranken Frau und seinen Kindern. Aber alle Müdigkeit war von ihm abgefallen; denn diese unverhoffte Hilfe war für ihn eine wunderbare Glaubenserfahrung. Er erfuhr niemals, auf welche seltsame Weise Gott ihm geholfen hatte.
Der arme Mann war schon lange fort, da erst kamen Durand und der Student aus dem Gebüsch. Der junge Engländer war sehr nachdenklich geworden und fast zu Tränen gerührt.
"Nun, mein Freund, war das nicht ein herrlicher Spaß?", fragte der Professor und blickte lächelnd zum See hinüber, der das Blau des Himmels widerspiegelte.
Der Student antwortet leise und mit bewegter Stimme: "Sie haben mir heute eine gute Lehre erteilt, die ich nie vergessen werde. Ich danke Ihnen." -
Hoch oben in den Lüften musizierten die Lerchen weiter, und an ihren kleinen Höhlen musizierten lärmend die vielen Grillen zum Preise ihres Schöpfers. In den herrlichen Lobpreis der Natur aber mischte sich der Dank dieser wenigen Menschen, die Liebe empfangen und Liebe gespendet hatten.
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