Ein Rabbiner und die Bergpredigt
Zu dem bekannten großen russischen Schriftsteller Leo Tolstoi kam eines Tages ein jüdischer Geistlicher, ein Rabbiner, zu Besuch. Es dauerte nicht lange, bis zwischen ihnen eine recht lebhafte, religiöse Diskussion entstand. Tolstoi nahm das Neue Testament und las verschiedene Abschnitte aus der Bergpredigt vor. Der Rabbiner lauschte gespannt, nickte von Zeit zu Zeit und meinte: So ungefähr steht es auch im Talmud, in den Sprüchen Salomos und im Buch der Weisheit. Aber dann folgten die Sätze, die im Evangelium enthalten sind: "Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten, wer aber tötet, wird dem Gericht verfallen. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder zürnt, verfällt dem Gericht. Wenn du aber deine Gabe zum Altar bringst und dich daselbst erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich habe, so lass deine Gabe dort vor dem Altar, gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder. Dann opfere deine Gabe!"
Tolstoi wartete auf eine Antwort. Nach kurzem Schweigen fragte der Rabbiner mit leisem Lächeln: "Aber tun das die Christen auch?"
Ja, tun wir das auch?
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