Ein nackender Mensch
Es befand sich vor besagter Stadt ein blödsinniger Mensch, welcher eine gute Weile in benachbarter Landschaft und Dörfern fadennackt war umhergelaufen, nunmehr aber wider seine Gewohnheit hieselbst etliche Tage still lag, mit ein wenig Stroh sich bedeckte, Geld, das ihm dargeboten ward, verschmähte, Aepfel aber, Birnen, Rüben, wie hart und unzeitig sie waren, lieber, als Brod begierig verzehrte, mit keiner als unvernehmlichen und fast viehischen Stimme sich meldete, und in solchem Zustande von vielen, die zu diesem Stadtthor aus-, und eingingen, gesehen wurde, Gotthold vermerkte, daß etliche sich verwunderten, etliche bestürzt wurden, etliche nach seinem Herkommen fragten, etliche ihr Gespött und Kurzweil mit ihm trieben Ach, sprach er bei sich selbst, mein Gott! dies ist nicht umsonst, daß du dieses elende Bild uns vor die Augen stellst! Dies ist wol ein recht nackender Prediger! Hier hab ich ein Vorbild der schändlichen Blöße, die uns durch die Sünde angethan ist, als wir unter die höllischen Mörder gefallen und von ihnen ausgezogen worden, 1. Mos. 3, 7. Hesel. 16, 7. Luc. 10, 30., und seither der anerschaffenen Gerechtigkeit und göttlichen Weisheit beraubt im Elend auf Erden wallen. Dieser Mensch ist zwar sehr elend, doch noch viel elender ist der, welcher im Geistlichen elend und jämmerlich, arm, blind und bloß an seiner Seele ist, und weiß es nicht, will es auch nicht wissen. Offenb. 3, 17. Hier haben die weltlichen Stölzlinge einen Abriß des göttlichen Gerichts, so über sie kommen wird; viele möchte der Krieg aller Ehren und nöthigen Kleider berauben, viele des Krieges Schwester, die Armuth, alle werden wir endlich im Tode nackt müssen aus der Welt ziehen, wie wir nackt hereingekommen sind. Ach hilf, mein frommer Gott! daß ich alsdann meiner Seele Ehrenkleid, den Rock der Gerechtigkeit Jesu Christi, behalte, und also bekleidet und nicht bloß erfunden werde. 2. Cor. 5, 3.
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