Ein Leben ohne Anfechtungen

Zu der Zeit, als es noch keine Autos gab, fuhr der Kutscher Joe jeden Tag mit der Equipage seines Herrn aus. Wenn das Wetter schön war, dann war das Verdeck zurückgeschlagen. Und dann konnte der Herr sich mit dem Joe unterhalten.
Diese Unterhaltung war aber meist sehr einseitig. Joe war ein frommer Mann, der täglich mit der Bibel umging und keinen Tag ohne ein kräftiges Gebet begann. Das aber erschien dem Herrn unendlich lächerlich. So bestand die Unterhaltung meist darin, dass der Herr seinen Kutscher wegen seiner Frömmigkeit verspottete.
Eines Tages fuhren sie wieder auf der Landstraße. "Wie geht's dir?", fragte der Herr leutselig.
Joe zuckte bekümmert die Achseln: "Ich habe eine schwere Zeit, weil ich durch viele Anfechtungen gehen muss."
"Hahaha!", lachte der Herr. "Da kann man sehen, was das Christentum für ein Unsinn ist. Anfechtungen! Wenn ich so was schon höre! Mit solch dummem Zeug gebe ich mich gar nicht ab."
Joe schwieg.
Ein paar Tage später war der Herr mit Joe auf der Entenjagd. Mit der Schrotflinte saß er im Boot. Joe ruderte den Kahn durch das Schilf. Brrrrr! Da ging plötzlich so ein Entenschwarm hoch. Der Herr schoss wie wild mit seiner Schrotflinte. Ein paar Enten schwammen tot auf dem Wasser. Zwei, die nur verwundet waren, versuchten aufgeregt zu entkommen.
"Schnell hinterher, Joe!", schrie der Herr und deutete auf die beiden Enten, die entrinnen wollten.
Joe ließ die Ruder sinken. "Aber warum denn, Herr? Lassen Sie uns doch erst die toten Enten einsammeln."
"O bist du dumm!", schrie der Herr wütend. "Die toten, die haben wir ja sowieso. Aber die beiden wollen uns durchgehen. Hinter denen müssen wir her sein. Los, rudere!"
Joe aber ließ die Ruder ruhen. "Herr", sagte er, "Sie haben neulich gespottet, weil ich Anfechtungen habe, und haben sich gerühmt, dass Sie keine haben. Nun, Herr, der Teufel macht es wie Sie auf der Entenjagd. Die Toten lässt er in Ruhe  -  Sie verstehen: Die innerlich Toten, die lässt er mit Anfechtungen in Ruhe, weil er sagt: Die habe ich ja sowieso. Wenn aber einer ihm durch die Gnade Jesu entrinnen und selig werden will  -  Herr! - da ist er hinterher! Da gibt es Anfechtungen!"
Der Herr schwieg. Vielleicht war ihm aufgegangen, dass seine Unangefochtenheit etwas Schreckliches sei.

Quelle: Hört ein Gleichnis, Heinz Schäfer, Beispiel 362
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