Durch Danken zum Freuen
Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohltat, die Er an mir tut!
Psalm 116,12
Ich weiß von einer alten Dame, die nie begreifen wollte, dass sie Wohltaten empfangen hätte, für die sie dankbar zu sein habe. Sie fand im Gegenteil, sie habe gar nichts Dankenswertes in ihrem Leben und daher recht viel Grund, verdrießlich zu sein.
Eines Tages brachte ihr ihre junge Nichte, die bei ihr wohnte, und die im Gegensatz zu ihrer Tante immer sehr fröhlich war, aus einer Abendversammlung ein Geschenk mit, eine Missionsbüchse.
"Siehst du, Tante, in diese Büchse steckt man immer einen Groschen, sobald man für etwas Besonderes zu danken hat. Übers Jahr, wenn wieder Missionsversammlung ist, wird die Büchse aufgemacht, und das viele schöne Dankgeld bekommt die Mission. Ist das nicht hübsch?"
Die Tante fand es nicht hübsch und stellte mürrisch die Büchse auf die Kommode. Sie hatte ja noch nie im Leben für etwas zu danken gehabt.
Vor dem Schlafengehen las sie aber doch noch einmal den Spruch, der auf der Büchse stand: "Wie soll ich dem Herrn vergelten alle Seine Wohltat, die Er an mir tut." Wohltat? Unsinn! dachte sie und legte sich schlafen.
Wie behaglich war ihr Bett! Wie weich und warm! Merkwürdigerweise fielen der Tante die armen, elenden, armenischen Flüchtlinge ein, die Kinder, die auf nackter, kalter Erde ihr Nachtlager suchen mussten, die unglücklichen Geschöpfe! Und sie? Wie kam sie zu der köstlichen Wohltat eines guten Bettes? Der Tante wurde sehr unruhig zu Mute, sie konnte gar nicht einschlafen. Plötzlich sprang sie aus dem Bette, griff nach ihrem Portemonnaie, stürzte zur Kommode, und - der erste Groschen fiel klirrend in die Missionsbüchse. Jetzt konnte die Tante schlafen.
Am Morgen am Frühstückstisch las sie in der Zeitung einen Bericht von einer Mutter, die ihr Kind arg misshandelt hatte. "Und ich habe eine so liebe und geduldige Mutter gehabt," dachte sie, "ich muss zum Dank für meine Mutter einen Groschen in die Büchse stecken." Sie tat es, und im Lauf der Woche folgten diesen beiden ersten Groschen schweigend noch manche andere, und dabei wurde die Büchse immer schwerer und die Tante immer fröhlicher. Sie fand ja alle Tage so viel zu danken! Und so ging es weiter, Woche um Woche, Monat um Monat. Endlich war das Jahr herum. "Du kommst doch mit in die Missionsversammlung?", fragte Lisa die Tante, als sie sich den Mantel anzog. Natürlich wollte sie mit, sie musste doch selber ihre Büchse hintragen. Sie war ganz voll, der letzte Groschen guckte sogar noch ein wenig heraus; "Der ist für dich, Lisa," hatte die Tante gesagt beim Hineinstecken, "du bist doch meine allergrößte Wohltat."
Die Versammlung war sehr schön. Zum Schluss wurden alle Büchsen aufgemacht, denn jeder hatte die seine mitgebracht, und die Groschen gezählt. Wie war die Tante neugierig, als ihre Groschen gezählt wurden. "56 Mark und 60 Pfennige," sagte der Prediger, und nickte ihr freundlich zu, "das ist schön. Wollen Sie wieder eine Büchse übernehmen?"
Ja, das wollte sie; ihre alte Büchse hatte sie ja so froh gemacht, dann würde die neue sie doch noch froher machen!
Ja, die Tante versteht nun ein wenig, wie man es macht, dass man dem Herrn alle seine Wohltat vergilt, die Er an uns tut.
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