Drei vergeudete Wünsche

Ein Märchen erzählt von einem armen Ehepaar, ehrsamen Leuten, die in Frieden alt geworden sind und denen eine gute Fee deswegen die Freiheit gibt, drei Wünsche zu äußern, die dann auch in Erfüllung gehen sollen. Natürlich ist das Glück über dieses unverhoffte Geschenk riesig groß; der alte Mann vermag es kaum zu fassen, und in seiner Freude ruft er aus: »Jetzt möchte ich erst einmal eine ordentliche Bratwurst haben!« Kaum ist der Wunsch seinen Lippen entflohen, da liegt auch schon die Bratwurst auf dem Tisch. Mit Entsetzen sieht die Frau, dass der erste Wunsch damit schon vergeben ist, und in ihrem Zorn schreit sie: »Die Bratwurst müsste dir an der Nase kleben!« - und so geschieht es auf der Stelle. Kein Mittel vermag die Bratwurst abzulösen. Wir ahnen, wie die Geschichte ausgehen wird: der dritte Wunsch muss darauf verwendet werden, dass die Bratwurst wieder von der Nase des Mannes verschwindet, und die drei Wünsche sind sinnlos vergeudet.
Das kleine Märchen steckt voll tiefer Weisheit. Es zeigt in erschütternder Weise, wie töricht unser Wünschen ist. Es deckt damit aber auch eine Not unseres Betens auf. Da gibt uns unser Herr die größten Verheißungen; er will uns geben, was wir brauchen, aber wir wissen nicht, was wir brauchen. Das macht ja gerade die Not unseres Lebens aus, dass wir soviele Wünsche haben und uns dabei nur zu oft darüber hinwegtäuschen, wie töricht diese Wünsche sind. Unser Wissen ist dürftig und gerade an dieser Stelle, die für unser Lebensglück so entscheidend ist, können wir nur bekennen: »Unser Wissen und Verstand ist mit Finsternis umhüllet.« Würde Gott uns alle unsere Gebetswünsche erfüllen, es wäre bestimmt nicht zu unserem Heil. Unser Beten kann ja nicht gut anders sein, als wir eben sind. Es gibt keine Schwäche unserer Person, die sich nicht auch in unserem Beten niederschlagen würde.
(Reinhard Deichgräber)

Quelle: Wie in einem Spiegel, Heinz Schäfer, Beispiel 1806
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