Diplomatie nimmt Rücksicht auf den Stolz des Gegenübers
Während der Kubakrise Anfang der sechziger Jahre forderte Präsident Kennedy den Abzug der russischen Raketenbasen von Kuba. Die Vereinigten Staaten ließen Kriegsschiffe in See stechen. Zur gleichen Zeit schickte Nikita Chruschtschow die sowjetische Flotte nach Kuba. Die Welt hielt den Atem an. Walter Cronkite gab stündlich Bericht über den Vormarsch der sowjetischen Flotte. Die Weltmächte schienen kopfüber auf den Harmagedon zuzusteuern. Im letzten Augenblick lenkte Russland ein. Die sowjetische Flotte machte kehrt und fuhr nach Hause zurück. Für Kennedy war das ein großer Triumph, für Chruschtschow eine völlige Blamage, die letztlich zu seinem Niedergang führte. Was geschah dann? Kennedy hatte in Kuba Inspektionen vor Ort verlangt. Chruschtschow weigerte sich, und Kennedy zog seine Forderung zurück. Als die Presse Präsident Kennedy fragte, warum er seine Forderung zurückgezogen hatte, erwiderte er: »Wir haben den Konflikt gewonnen. Es war wichtig, dem sowjetischen Staatschef einen würdigen Abzug zu verschaffen.«
Kennedys Diplomatie zielte darauf, Chruschtschows Stolz nicht allzu sehr zu verletzen. Er wollte den Staatsmann nicht in eine Ecke drängen, wo ihm jede Ehre genommen wurde. Mir schaudert bei dem Gedanken, was passiert wäre, wenn Kennedy weniger Gespür für die Situation gehabt hätte. Die Frage des Stolzes in dieser Konfrontation hätte unter Umständen zur Zerstörung der Welt führen können.
Welchen Platz hat Stolz im Leben eines Christen? Überhaupt keinen! In einer gefallenen Welt müssen Premierminister und Präsidenten ihr Spiel spielen, um das »Gesicht« zu wahren oder ihren Status zu demonstrieren.
Sproul, Gott gefällig leben, S.166
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