Dieselben

Wie sie obgesetztermaßen hiervon redeten, wurden sie gewahr, daß die Bienen in den blühenden Bäumen sich häufig fanden, summten und ihre Honiglese mit Freuden hielten. Sehet hier, sprach Gotthold, ein Bild der zeitlichen Glückseligkeit; so lange der Baum blüht und Honig in seinen Blümlein hat, so werden ihn die Bienen fleißig besuchen und sich in und um ihn hören lassen; wenn aber die Blüthe vorbei und der Honig weg ist, so sind sie auch weg. So gehts in der Welt; wo Glück und Genuß ist, da sind viele Freunde; verliert sich das Glück, die Freunde auch. Der zeitliche Gewinn ist der Welt Honig, damit man sie locken kann, wohin man will; wo aber der ein Ende hat, da auch der Welt Liebe und Freundschaft. Ach, wie mancher muß mit jenem heidnischen weisen Mann klagen, als er in Armuth verfallen und deshalb schlechter, als vorher bekleidet und von seinen gewesenen Freunden verlassen war: Diese haben nicht mit mir, sondern mit meinem Mantel Freundschaft gehalten. Und ein anderer sagte gar nachdenklich: Ich habe viele Freunde, ich bitte aber Gott, daß ich nicht Ursache und Gelegenheit habe, sie zu probieren. Darum laßt uns wenig Freunde haben, und unsere Liebe in Gottes Liebe gründen; zuvörderst lasset uns an dem fest halten, dessen Treu in Ewigkeit nicht wankt, von welchem einer seiner Freunde (Tauler) sagt: „Man findet selten einen erleuchteten Freund Gottes, dem man sein Herz sicherlich eröffnen möchte, darum ist allen gutherzigen Menschen zu rathen, daß sie zu dem gekreuzigten Christo fliehen, der niemand in der Noth verläßt, der ihn nur recht suchen will.“ Hierauf fuhr Gottholds Freund fort und sprach: Ich pflege mich bei solchen blühenden Bäumen und den darin summenden Immen der Freude des ewigen Lebens zu erinnern. Wie denn? sagte Gotthold. Gott, antwortete jener, wird sein ein ewig blühender Baum, mit dem süßen Honig des ewigen Friedens und Trostes erfüllt; in und um denselben werden die Auserwählten ewig schweben und leben, seiner Süßigkeit nach aller Lust ihrer Seelen genießen und ihn in ewiger Freude loben und preisen. O wie wollen wir dann sammeln! O wie wollen wir singen und fröhlich sein! Gott helfe uns dazu durch Christum Jesum!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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