Die zweifachen Fesseln

Vor mehr als achtzig Jahren wütete in Indien ein heißer Kampf zwischen den Engländern und den Tippu Sahib. Bei einer Gelegenheit wurden einige englische Offiziere gefangen genommen. Unter ihnen befand sich auch einer, namens Baird. Eines Tages brachte der eingeborene Offizier, der sie bewachte, eiserne Fesseln, womit alle Gefangenen - die Verwundeten nicht ausgenommen - gefesselt werden sollten. Leutnant Baird jedoch war schwer verwundet und hatte sehr unter Schmerzen und Schwäche zu leiden. Da sagte ein grauhaariger Offizier zu dem eingeborenen Beamten: "Sie wollen doch wohl nicht auch diesen verwundeten Mann mit Ketten belegen." Die Antwort lautete: "Ich habe gerade so viele Fesseln, als da Gefangene sind und alle Fesseln müssen angelegt werden."
"Dann", erwiderte der edle Offizier, "legen Sie mir zwei Fesseln an. Ich will seine Fessel und die meinige tragen." So geschah es und merkwürdigerweise wurde Baird wieder ganz gesund und gelangte wieder in Freiheit. Er erlebte es noch, dass die von den Engländern damals belagerte Stadt eingenommen wurde. Sein selbstloser Freund aber starb in der Gefangenschaft. Bis zu seinem Ende hatte er die zwei Fesseln zu tragen.
Wie aber, wenn er die Fesseln aller Gefangenen auf sich genommen hätte? Wie, wenn er, anstatt selbst ein Gefangener zu sein, einen herrlichen Palast verlassen hätte, um in jenem ekelhaften Kerker, beladen mit den Fesseln aller Gefangenen, zu schmachten? Wie, wenn er für sie alle sich hätte verwunden lassen, für sie alle hätte leiden und sterben müssen, damit sie frei ausgingen, frei für immer?
Aber um wie viel größer steht uns des Heilandes Liebe zu uns vor Augen, von dem die Bibel sagt: "Also ist Christus einmal geopfert, wegzunehmen vieler Sünden" (Hebr. 9,28).
"Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe lieft auf Ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch Seine Wunden sind wir geheilt. - Der Herr warf unser aller Sünde auf Ihn!" (Jes. 53, 5-6

Quelle: Der ewig reiche Gott, Dietrich Witt, Beispiel 1104
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