Die Zuhörer

Als Gotthold mit einem gottseligen Freunde aus der Kirche kam, sagte dieser, er hätte sich heute über die große Menge der Zuhörer müssen wundern und erfreuen, weil er Hoffnung hätte, daß unter einer so volkreichen Versammlung der edle Same göttlichen Wortes doch etliche feine Herzen müßte antreffen, darinnen er zur Frucht gedeihen könnte. Gotthold sagte hierauf: Ich muß gestehen, wenn ich eine solche Menge sehe, die das Wort Gottes zu hören bei einander ist, daß es mir geht wie einem geizigen Kaufmann, der viel Volks um seinen Laden sieht auf einer Messe und desto mehr Hoffnung zu vielem Gewinn hat. Die Welt spricht: die Priester sind geizig. Ich will es nicht leugnen. Was rechtschaffene Diener Jesu Christi sind, die müssen geizig sein, doch wie ihr Handel nicht weltlich oder irdisch ist, so ist auch ihr Geiz, ihre Begierde und Verlangen auf vergänglichen Gewinn nicht gerichtet, sondern Seelen suchen sie zu gewinnen und ihrem Herrn Jesu zuzuführen. Aber ach! wie oft werden wir im Geist betrübt, wenn wir an den meisten, ja unserm äußerlichen Dünken nach fast an allen unsere Arbeit und Hoffnung müssen verloren setzen! Viele Hörer, wenig Thäter. Die meisten Zuhörer sind dem mit Oel getränkten Papier gleich, darauf keine Schrift haften will; ihre Herzen sind mit weltlichen Gedanken und herrschenden Sünden eingenommen, wie soll man ihnen denn den himmlischen Lebenssaft beibringen? Wir sind gewohnt, in die Predigt zu gehen, aber auf das gepredigte Wort nicht zu achten; beides haben wir von Jugend auf gesehen und bleiben dabei. Wie kann ein Knabe etwas Tüchtiges lernen, der aus Zwang und mit Widerwillen ein paar Stunden in der Schule sitzt, hernach aber, wenn er entlassen wird, die Bücher in einen Winkel wirft, und seinem Muthwillen den ganzen Tag folgt? Und wie kann ein Mensch in der Schule des H. Geistes die Geheimnisse des Reichs Christi lernen, wenn er aus Gewohnheit mit Unlust zur Kirche geht, mit schläfrigem Herzen zuhört und hernach den ganzen Tag (wie gemeiniglich am h. Ruhetag des Herrn geschieht) in Ueppigkeit und Sünden zubringt? Gesetzt, daß manchem ein Fünklein des göttlichen Feuers durchs Wort ins Herz gefallen ist, wie kann es zu Licht und Flamme werden, da es mit stetigen Bier- und Weingüssen sofort ersäuft wird? Ich habe einmal von einem eifrigen Lehrer gehört, es geschähen die größten Sünden, gegen welche Ehebruch, Raub, Stehlen und dergleichen nicht zu achten, in der Kirche. Es erschrak mancher darüber und meinte, es wäre eine harte und unerweisliche Rede, allein er erklärte sie, das Kirchengehen ohne Andacht, ohne Frucht, ohne guten Vorsatz, ohne Besserung, ja mit Heuchelei und Sicherheit, mit beharrlicher Luft zur Sünde wäre nichts anders, als ein Gespött Gottes, eine rechte Frevelsünde, eine schreckliche Bosheit; indem man sich zwar hinsetzt, Gottes Wort zu hören, doch aber sich vornimmt, nicht darnach zu thun, so wird zwar das Ohr auf eine Stunde Gott, das Herz aber den ganzen Tag dem Teufel gewidmet und eingeräumt; hier lausen alle Sünden wider die Gebote der ersten Tafel des göttlichen Gesetzes zusammen und diese überwiegen auf der h. Wage die, welche wider die andere sind. Unsere heutigen meisten Christen meinen, wenn sie in der Kirche sind fromm, andächtig, still, und der Predigt zuhören, so haben sie ihrer Pflicht ein Genüge gethan und könne man dann nachher sicher leben, wie man wolle. So haben wir nun Christen in der Kirche, aber in den Häusern, Schenken, Raths- und Gerichtsstuben, in den Läden, auf Reisen Juden, Heiden, Atheisten, Spötter, Spieler, Flucher, Haderkatzen, Trunkenbolde, Hurer, Geizhälse, Schinder und dergleichen. Und dies ist es, was der Herr mit so sehnlichen Worten klagend beschreibt, Hesek. 33, 31: Sie werden zu dir kommen in die Versammlung und vor dir sitzen als mein Volk und werden deine Worte hören, aber nichts darnach thun, sondern werden dich anpfeifen, (sie werden dich liebkosen, deine Gaben und Predigten rühmen) und gleichwohl fortleben nach ihrem Geiz. Hieher können meines Erachtens wohl gezogen werden die Worte des großen Lehrers (Luther), der da spricht: „Der weiße schöne Teufel, der die Leute zu geistlichen (mit einem geistlichen und guten Schein verdeckten) Sünden treibt, - der ist es, der den größten Schaden thut, gar viel mehr, denn der schwarze Teufel, welcher die Leute allein zu den groben fleischlichen Sünden treibt.“ Ach Herr! erbarme dich des verblendeten sichern Haufens! Mein Wunsch, aus dem Grunde meiner Seele geflossen, soll sein, wenn ich unter einer solchen Menge auftrete: ach, daß keiner von diesen verloren werde! Du wirst denn auch nach deiner großen Güte meine Arbeit nicht gänzlich lassen umsonst, noch vergebens sein!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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