Die zerstoßene Feder
Eine vornehme Frau, als sie etwas schreiben wollte und eben eine untaugliche Schreibfeder bekommen hatte, bemühte sich zwar, dieselbe nutzbar zu machen, als sie aber unvermuthet das Papier damit befleckte, erzürnte sie sich so geschwind und hitzig, daß sie die Feder auf den Tisch mit Ungestüm stieß und verderbte. Gotthold sah dieses und lächelte dazu, sagend: Dergleichen sieht man oft im gemeinen Leben, daß die Menschen ihre Werkzeuge, wenn sie ihnen nicht nach ihrem Willen dienen, stoßen, schmeißen, schlagen und verderben, damit sie aber nichts anders anzeigen, als wie recht es wäre, wenn auch der höchste Werkmeister aller guten Dinge, der uns zwar zu Werkzeugen seiner Gnade und guten Willens gebrauchen will, uns aber nicht nur untauglich, sondern auch muthwillig und widerspenstig befindet, uns im Zorn aufriebe und in seinem Grimm zerstieße und verderbte. Denn was uns recht ist, warum sollte ihm das unrecht sein? Allein, er ist Gott und nicht ein Mensch, und seine Barmherzigkeit ist zu groß und zu brünstig, daß er nicht thun kann oder will nach seinem grimmigen Zorn, noch sich kehren, uns ganz zu verderben, Hos. 11, 8. 9. Ach, barmherziger Vater! ich verwundere mich am meisten über deine Langmuth, wiewohl du ganz und gar wunderbar bist! Und ich kann mir dieselbe nicht besser einbilden, als wenn ich nur meine wenige Lebenszeit durchdenke und betrachte, wie reichlich du sie an mir bewiesen hast. Wenn ich aber die unglaubliche Menge so vieler tausend mal tausend Menschen, und wie dieselben dich täglich, ja stündlich erzürnen und beleidigen, dennoch aber stets deiner Güte begehren und genießen, mir vorstelle, so versinkt mein Gemüth im tiefen Meer, und ich beklage nichts mehr, als daß man dich, du Liebe, nicht liebt! Darum redet auch dein Wort so nachdenklich von deiner unvergleichlichen Güte: Gelobt sei Gott! der mein Gebet nicht verwirft und seine Güte nicht von mir wendet. Ps. 66, 20. Du hättest, mein Gott! oftmals Ursache zu sagen: trolle dich, du Bube, mit deinem Gebet! Denn es ist mehrmals wie ein kupferner verfälschter Pfennig, wie ein Getränk, das nach dem Gefäß schmeckt; aber du thust es nicht, sondern läßt es dir in Gnaden gefallen. Breite deine Güte über die, so dich kennen, spricht abermal dein Prophet, Ps. 36, 11., und vergleicht deine Güte mit einer Decke, damit du uns und unsere Sünden verhüllst, daß sie uns weder beschädigen, noch verdammen müssen. Nun, mein Gott, bleibe doch, wie du bist, ich bin mit dir wohl zufrieden, sei doch auch mit mir in Gnaden zufrieden!
© Alle Rechte vorbehalten