Die Zahlpfennige

Gotthold sah einen vornehmen Mann mit Zahlpfennigen rechnen und, weil er wohl wußte, daß derselbe seinem Glück zuweilen zu viel traute, fing er an: Ich sehe wohl, daß es euch Glücksund Sonnenkindern an Predigern nicht fehlt, wenn ihr schon nicht in der Kirche seid und ihr ihnen nur Gehör geben wollt. Diese eure Zahlpfennige bilden euch der Welt eitles Wesen und mancherlei Veränderung so artig vor, daß ich mich darüber erfreue; bald liegt einer auf der untersten Linie, da gilt er eins, bald auf der andern, so gilt er zehn, bald auf der dritten, so gilt er hundert, bald auf der vierten, so gilt er tausend; bald aber wird er gar aufgehoben, so gilt er nichts und ist und bleibt nur ein Zahlpfennig, ob er schon tausend und mehr Reichsthaler oder Dukaten bedeutet hat. So gehts mit den Menschen auch zu; des Höchsten Hand, legt sie nach seinem Gutbefinden und Wohlgefallen, sie steigen zuweilen hoch hinan, kommen zu Ehren, zum Reichthum und großen Namen, darüber sie selbst und andere vergessen, daß sie Menschen sind; allein es ist um ein Geringes zu thun, so will der himmlische König ein Facit haben von ihrem Leben; da hebt er sie einen nach dem andern, und befindet sichs dann, daß sie sterbliche Menschen und rechte Zahlpfennige sind, die nicht mehr und länger gelten, als er sie will gelten lassen. Darum jener gottselige Kirchenlehrer wohl sagt (Augustin): Nimm das thörichte Einbilden und den eitlen Ruhm hinweg, und was sind denn alle Menschen, als Menschen? Hieraus sah der König David, als er ausrief: Ach, wie gar nichts sind doch alle Menschen, die doch so sicher leben! Sela. Ps. 39, 6. Bedenket dies allezeit und haltet es für eine Versicherung eurer Glückseligkeit, wenn ihr euch nicht versichert haltet und den beständigen Unbestand aller weltlichen Dinge zum Grunde eurer Anschläge legt. Denn wer bei sich selbst viel gilt, der gilt bei Gott nichts.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
© Alle Rechte vorbehalten