Die Würmer
Es war eine einfältige, doch fromme Frau und von gutem Namen in eine langwierige und schmerzliche Krankheit gerathen, wodurch sie also ausgezehrt, daß sie mehr einem todten Körper, als lebendigen Menschen ähnlich, bis sich endlich hin und wieder an ihrem dürren Leibe Flüsse und offne Wunden und, was das meiste, lebendige Maden und Würmer gefunden. Zu dieser ward Gotthold gefordert, daß er mit Trost aus Gottes Wort sie unterhalten und mit der edlen Seelenspeise versehen sollte. Als er nun zu ihr einkam, konnte er solch elendes und klägliches Bild nicht ohne Entsetzen und tiefen Seufzer anblicken, fand aber nicht ohne Verwunderung, nachdem er ihr Rede abgewonnen, daß sie voller Geduld, Glaubens und Hoffnung zu Gott und ihm nach allem feinem gnädigen Willen weiter auszuhalten ganz bereit und willig war. Als er nun wieder nach Hause kam, sagte er mit Thränen: Hilf, gerechter Gott! was sind doch wir arme, elende Menschen? Was kann doch deine gewaltige Hand aus uns machen? Ein todtes Aas bei lebendigem Leibe. Er befand auch im Nachsuchen, daß die gelehrten Aerzte verzeichnet viele Exempel Junger und Alter, Männer und Weiber, denen Würmer im lebendigen Leibe gewachsen und zuweilen bei ihrem Leben, zuweilen nach dem Tod gar häufig von ihnen gekrochen. Ach, sagte er darauf, Menschenkind, du Madensack, was erhebst du dich? Was prangst du? Es kostet dem gewaltigen und gerechten Gott einen Wink, so fressen dich die Würmer, nicht nur todt, sondern auch wol bei lebendigem Leibe. Das heißt: Seine Schöne wird verzehrt, wie von Motten. Ps. 39, 12. Mein Gott! gieb, daß ich allezeit mich unter deine gewaltige Hand demüthige, 1. Petr. 5, 6., und von Herzen erkenne, daß ich Staub, Asche, Erde, ein Wurm, eine Made bin, welchen du mit einem zornigen Anblick zu nichte machen und zertreten kannst.
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