Die weißen Lilien

Als Gotthold die großen Gartenlilien in ziemlicher Anzahl hatte abschneiden, auch ins Wasser und in seine Schlafkammer setzen lassen, befand er, daß er zwar die Nacht darauf sehr wohl geruht, und mit dieser Blumen lieblichem Duft das ganze Zimmer erfüllt war, aber er verspürte daneben, daß ihm sein Haupt ziemlich schwer, und ihn immer mehr zu schlafen wider seine Gewohnheit verlangte. Da erinnerte er sich, daß einmal ein berühmter Arzt gesagt: man sollte solchen anmuthigen Geruch als ein heimliches Gift verdächtig halten und ihn aus der Schlafkammer lassen. So geht es mir, gedachte er, auch mit dem Ambrageruch; wenn ich denselben in die Länge empfinden muß, habe ich allezeit mein Haupt beschwert und zum Schwindel geneigt befunden. Das ist wol eine eigentliche Vorstellung des weltlichen Ruhms und der Liebsprechung der Leute, davon mein Erlöser spricht: Wehe euch, wenn euch jedermann wohlredet! Luc. 6, 26. Dadurch wird manchem das Gehirn und Herz eingenommen, daß er sicher wird, sich selbst zu viel traut, sich glückselig achtet, andere verachtet und also zum verderblichen Fall fertig ist; dies ist die Schmeichelei der betrüglichen Delila, dadurch sie manchen hochbegabten Simson einschläfert! Nicht. 16, 4. Darum der Apostel wohl sagt, daß wir uns als Diener Gottes bezeugen sollen durch Ehre und Schande, durch gute Gerüchte und böse Gerüchte, 2. Cor. 6, 4. 8., weil ihrer viel, so unverdiente Schande mit Geduld überwunden, von der verdienten Ehre sind gefällt und durch Erhebung erniedrigt worden. Darum ist es besser, feine Gaben nicht wissen und von andern sich nicht rühmen hören, als durch einen Lobspruch Anlaß zur Vermessenheit bekommen! Mein Gott! gieb mir allezeit zu erkennen, daß ich nichts bin, und mit deinem Apostel demüthig zu sagen: Von Gottes Gnaden bin ich, das ich bin. l. Cor. 15, 10.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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