Die versetzte Linde
Es klagte ein betrübter Mann, daß er beim Durchzug eines feindlichen Kriegsheers nichts behalten hätte, maßen denn sein ausgeplündertes Haus sei von bösen Buben in die Asche gelegt und er mit dem Stabe davon zu gehen gezwungen worden. Gotthold hatte ein herzliches Mitleid mit ihm und sagte: Seid zufrieden! wir haben einen Gott, der uns auch im Unglück glückselig machen kann. Er zeigte ihm hieraus einen jungen Lindenbaum, welchen er neulich aus weitem Felde aufnehmen und vor seine Thür zur Zierde und Schatten hatte setzen lassen. Seht ihr, sprach er, diesen Baum, welchen ich neulich hieher habe bringen lassen; es sind ihm alle seine Zweige genommen, der Stamm ist abgekröpft und er sieht da ganz unansehnlich und als verdorrt. Aber es hat ihm nicht anders gedient, wo er anders bekleiben und fortkommen sollte; hätte er alle seine Zweige behalten, so hätten die Wurzeln denselben sofort nach der Versetzung, da sie sich im fremden Erdreich noch nicht recht eingerichtet, nicht genugsamen Saft zuführen können, darüber denn Stamm und Zweige hätten verderben müssen, anjetzt aber steht der bloße Stamm da und vertheilt den wenigen Saft, so er von unten auf bekommt, in wenige und kleine Augen, welche allmälig ausschlagen und glücklich wachsen werden. So machts oft der getreue Gott mit seinen Christen, die er aus dem Grund der Welt in sein wahres Christenreich versetzen will; er läßt sie in Armuth und Mangel gerathen; er läßt die Zweige der zeitlichen Glückseligkeit ihnen gänzlich abhauen und durch Raub, Unrecht, Krieg und Brand benehmen, damit sie ihm desto williger dienen und ohne schwere Bürde auf dem engen Wege, der zum Leben führt, ungehindert fortwandern mögen; habt ihr denn nichts behalten, so achtet euch glückselig, daß ihr eurem Erlöser darin gleich geworden seid, welcher nicht so viel gehabt, daß er sein Haupt hätte darauf legen können. Matth. 8, 20. Er hatte, als er geboren ward, eine Krippe, aber die gehörte andern Leuten zu; er hatte, als er das Volk lehrte, ein Schiff, aber das war Simonis Petri; er ritt auf einem Esel in die Stadt Jerusalem, aber der war auch entlehnt; er hatte wenige Kleider und einen gewirkten Rock, die theilten und verspielten unter sich die Kriegsknechte. Das Kreuz allein, daran er sein theures Blut vergossen, hat er behalten. Danket Gott, daß, da ihr sonst nichts habt, ihr dennoch ein Kreuz habet, das ihr dem Herrn Jesu nachtragen könnt. Darauf antwortete jener: Nun, Herr Jesu!
So will ich, weil ich lebe noch,
Mein Kreuz dir fröhlich tragen nach.
Mein Gott! mach mich dazu bereit!
Es dient zum Besten allezeit.
Hilf mir mein Sach recht greifen an,
Daß ich mein Lauf (selig) vollenden kann.
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