Die Uhr
Gotthold sah, daß einer seiner guten Freunde stets eine Uhr bei sich trug, darnach er, wie er sagte, auf seinen Reisen und in andern wichtigen Verrichtungen sich zu achten pflegte, auch zuweilen, wenn er bei Gesellschaft war, dieselbe hervorzog und, wie hoch es an der Zeit, sich erkundigte. Darüber hatte er folgende Gedanken: wenn nichts theurer ist, als die kurze Zeit, die der Höchste dem Menschen zu leben und Gutes zu thun gegönnt, so ist es eine sehr löbliche Sache, dieselbe als auf der Schnellwage abwägen und aufs richtigste und genaueste eintheilen, bedenkend, was der Apostel sagt: Als wir denn nun Zeit haben, so lasset uns Gutes thun an jedermann, Gal. 6, 10. Mein Uhrlein aber, das ich sonder einige Kosten, jedoch mit höchstem Nutzen bei mir tragen will, soll sein die Furcht meines Gottes, darüber ich zum Aufseher mein Gewissen bestellen will, damit ich nichts anderes thue, als was Gott gefällt und was die Kürze meines Lebens erheischt. Ein gewissenhaftes Herz ist in steter Bewegung wie eine Uhr und sagt uns, wenn wir nur Acht darauf haben, unfehlbar, wie viel es geschlagen und wann es Zeit ist, entweder vorsichtiglich zu wandeln, oder von Sünden abzulassen und zu Gott sich zu wenden. Mein getreuer Gott! ich danke dir, daß du in dem Menschen die Gewissensuhr bereitet hast, die mitten unter allen Geschäften und Ergötzlichkeiten gar hell schlägt, daß wir es zu empfinden nicht umhin können. Verleih, daß ich mich allezeit gottselig darnach richte und keine Zeit Gutes zu thun versäume!
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