Die tödlichen Blumen in Afrikas Urwald
Beim Negerkönig Krame in Nigeria an der Westküste Afrikas hat der französische Forscher Domaison reiche Ernte gehalten. Die kostbarsten und seltsamsten Tiere der Wildnis hat er gegen Stoffe, Pulver und Draht eingetauscht. Für die Rückreise zur Elfenbeinküste empfiehlt ihm der König einen weit kürzeren Weg. "Aber", so fügt der schwarze König warnend hinzu, "dieser Buschpfad wird bisweilen von bösen Geistern heimgesucht." Der Forscher lacht verstohlen über solchen Aberglauben und tritt die Heimkehr auf dem Buschpfad an.
Der schmale Weg läuft durch dichtesten Urwald. Aber wie sonderbar, dieser Urwald ist totenstill. Da krächzt kein Affe und schreit kein Papagei. Da singt kein Vogel, eine unheimliche Stille überall. Bald schweigen auch die schwarzen Träger. Alle sind unsagbar müde, erschlafft von einem wundersamen Duft, der die Wildnis erfüllt. Als wenn überall Veilchen ständen, viele Veilchen mit bittersüßem Geruch. Der Forscher sieht rechts, sieht links. Eine solche Blumenpracht sah er nirgendwo auf der Welt. Von den Schlingpflanzen hängen violette Blumen herunter, Millionen Kirschblüten, dunkelblau, gelblich weiß, umsäumen den Weg. Der Forscher kann sich von dieser Schönheit nicht losreißen. Aber vor ihm die Schwarzen sehen diese Schönheit nicht. Sie sind benebelt, wie betrunken. Selbst der Kräftigste taumelt hin und her. Da erkennt der Forscher mit Entsetzen, dass diese Wildnis eine Stätte des Todes ist. Darum kein Vogel, kein Affe, kein Raubtier! Die schönen Blumen morden mit ihrem weichen, süßen Duft Tiere und Menschen.
Die ganze Nacht wird marschiert. Heraus aus dieser Hölle. Die Schwarzen wollen das Nachtlager aufschlagen und schlafen, aber das wäre ihr Tod. Nur mit Mühe bringt sie der Forscher vorwärts. Die Tabakspfeifen dürfen nicht ausgehen. Gegen Morgen machen die Träger eine furchtbare Entdeckung. Sie finden am Wege die Gebeine von fünf Menschen. An einem Skelett hängt eine goldene Uhr. Ein Weißer und vier Träger. Sie haben sich hier zum Schlafen niedergelegt, und die Wunderblumen haben sie ermordet. Die furchtbare Entdeckung weckt in den Schwarzen die letzte Kraft. In den Vormittagsstunden haben sie es endlich geschafft, haben die Wildnis mit den tötenden Blumen hinter sich.
Herr, lass uns die Sünde erkennen, die uns einschläfern will, und ihr in deiner Kraft widerstehen!
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