Die Todtenbahre
Gotthold sah vor einem Hause eine Todtenbahre stehen zur Anzeige, daß darin eine Leiche wäre, die förderlichst würde beerdigt werden. Dabei erinnerte er sich sofort seiner Sterblichkeit und sagte bei sich selbst: vielleicht wird es eben diese Bahre sein, darauf man dich wird zu Grabe tragen, oder ists diese nicht, so ist doch das Holz schon gewachsen, daraus man eine für dich zimmern wird, darum halte dich zum Tode gefaßt und mache es so, daß, wenn man deinen Körper ins Grab, die Engel deine Seele in den Himmel tragen mögen. Im Fortgehen dachte er weiter: ach! wenn vor allen Häusern, darinnen ein Todter ist, eine solche Bahre sollte gesetzt werden, so dürften wir ihrer viel zu wenig haben! Denn mancher Mensch ist lebendig todt, der nämlich in Unbußfertigkeit und vorsätzlichen Sünden lebt. Gott ist der Seele Seele und unsers Lebens Leben; Christus muß in unserm Herzen durch den Glauben wohnen, er muß unsers Herzens Herz sein, daß wir mit dem h. Paulus sagen können: Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir! Gal. 2, 20. Gleichwie das Herz die Quelle ist der Lebensgeisterlein und eine Werkstätte der Seele, daraus sie die natürliche Wärme und Lebenskräfte in alle Adern und Glieder vertheilt, also muß der Herr Jesus in uns das geistliche Leben wirken und seinen Geist in alle unsere Kräfte, Sinne, Begierden, Gedanken und Bewegungen ergießen. Wo das nicht ist, da ist kein Leben. Der gottlose Mensch ist ein lebendiges Aas, er stinkt vor Gott und seinen h. Engeln; die Würmer der sündlichen Begierden durchwühlen sein Gewissen, er ist ein Greuel vor Gottes Augen. Wie sich die Raben und andere unreine Vögel über ein Aas freuen und versammeln, so freuen sich die höllischen Geister über die in Sünden todte Seele, und wo ist ein Haus, darin man solche nicht findet? Ach, mein Herr Jesu! ich will lieber nicht leben, als dir nicht leben! Laß mich sterben, daß ich lebe! Was ists, lange leben und lange sündigen? Ich will gerne noch länger leben, wenn du in mir lebst; sonst wäre mir besser, diese Stunde sterben. Sei du mein Leben, oder ich mag nicht länger leben.
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