Die Teilung

Gotthold hörte von einer benachbarten Person, daß sie nebst andern Anverwandten in Kurzem würden zusammen kommen, eine ziemliche Erbschaft zu theilen. Mein, sagte er, sehet zu, daß ihr nur die Güter und nicht die Gemüther theilt! Das menschliche Auge sieht oft scheel, wenn andere von dem, was es sich am liebsten gönnte, auch etwas nach sich ziehen. Nicht unfüglich hat ein weiser Mann den Eigennutz ein Scheidewasser genannt, weil er oft der nächsten Blutsfreunde Herzen von einander scheidet und ihre Liebe in Haß verwandelt. Es ward vor etlichen Jahren von Paris berichtet, daß zwei vornehme Personen bei Theilung der ihnen zugefallnen Erbschaft mit einander von Worten zu Streichen gekommen, da denn einer den andern mit einem Mörserstößer zur Erde geschlagen, hernach sich selbst die Kehle abgeschnitten. Die haben so getheilt, daß der Satan auch etwas bekommen. Ich selbst habe eine Erbtheilung gesehen, darinnen die Gemüther der Anverwandten so gegen einander entrüstet worden, daß sie die schönsten Laken, Tischdecken, Tapezerieen und Vorhänge zertheilt und zerrissen, weil einer dem andern nichts hat gönnen wollen, darüber sie in solche Verbitterung und Feindschaft gerathen, daß sie einander lebenslang weder hören, noch sehen mochten. O verfluchtes Gut, daraus der Teufel einen Zankapfel macht! O unselige Erbschaft, darüber das Band der christlichen Liebe zerrissen, und das himmlische Erbtheil verloren wird! Als nun selbige Person sich christlich erklärte, um Friedens willen sich also anzuschicken, daß mit Gottes Hülfe dergleichen Trennung hier nicht sollte zu befahren sein, sprach Gotthold: Mir fällt bei dieser Gelegenheit zu, was im 16. Psalm steht und im Namen unsers allerliebsten Erlösers geredet wird, V. 5., 6.: Der Herr ist mein Gut und mein Erbtheil, du (mein Gott!) erhältst (verwahrst) mein Erbtheil; das Loos ist mir gefallen aufs lieblichste, mir ist ein schön Erbtheil worden. Liebster Heiland! die Welt hat schlecht mit dir getheilt; sie hat dir nichts gelassen, als was ihr nicht beliebt, die Armuth, die Verachtung, die Schmach, das Kreuz, die Dornenkrone, die Geißel und dergleichen; doch warst du wohl zufrieden und mit der Liebe deines Vaters und seinem süßen Willen vergnügt. Es geht noch jetzt nicht anders; den Gläubigen fällt das wenigste zu von den vergänglichen Gütern, gemeiniglich haben sie so viel davon, als du; sie könnens auch leicht lassen geschehen, weil sie wissen, daß im Tode den Menschen noch eine Theilung bevorsteht, da Leib, Seele, Güter, Ehre und alles von einander gesetzt und ihnen nichts gelassen wird, als was im Innersten der Seele beigelegt ist. Wohl dem, der alsdann sagen kann: Der Herr ist mein Gut und Erbtheil! Was mich betrifft, so will ich mit der Welt leicht theilen und zurechte kommen; sie lasse mir meinen gekreuzigten, verschmähten, mit Dornen gekrönten, armen Jesum, und behalte das andere; so sind wir geschiedene Leute.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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