Die Sperlinge

Zur Zeit der Erndte sah man die Sperlinge haufenweise auf de n Mandeln sitzen und solchen Ueberflusses fröhlich genießen. Als nun Gotthold mit einem seiner Hausgenossen spazieren ging, sagte derselbe: Das ist doch gar ein unnützer und böser Vogel, der an dem lieben Getreide großen Schaden thut und ist doch so listig dabei, daß er in seiner Dieberei nicht leicht sich fangen oder schießen läßt; doch habe ich gelesen, daß etlicher Orten in Schlesien der Gebrauch sei, daß ein Landmann vor seinen Herrn oder Edelmann nicht gelassen wird, es sei denn, daß er einen oder andern Sperling mitbringt. Anderswo ist Herkommen, daß die Unterthanen ihrem Gerichtsherrn jährlich müssen eine gewisse Anzahl liefern, und der Richter muß einen jeden Sperling oder seinen Kopf den Knaben, die ihn gefangen und umgebracht, mit einem Pfennig bezahlen, dadurch denn ihre Zahl merklich verschwächt und viel Schaden verhütet wird. Gotthold sagte: Lasset sie doch mitessen, ihr Schöpfer lässet alle Jahr so viel wachsen, daß wir und sie genug haben; lasset uns vielmehr an ihnen den unbegreiflichen Reichthum des göttlichen Segens betrachten. Luther hält dafür, daß der König in Frankreich mit allem seinem Reichthum, Zins und Renten nicht vermöchte zu bezahlen, was allein auf die Sperlinge geht, und unser Gott hat doch solcher Tischgänger eine unzählige Menge, die er alle ohne Mühe versorgt und mit Lust sättigt. Indem sie also redeten, wurden sie gewahr, daß ein junger Mensch, der diesen ungebetenen Gästen hatte aufgewartet und sich hinter einer Mandel verborgen gehalten, einen Schuß unter sie that und eine ziemliche Anzahl davon erlegte. Gotthold sagte hiezu: Wie unnütz und gering uns die Vögel auch dünken, so wird doch jetzt keiner getroffen und gefallen sein ohne Gottes Willen, welches uns unser Heiland lehrt, sagend: Kaufet man nicht zween Sperlinge um einen Pfennig? Noch fällt derselben keiner auf die Erde ohne euern Vater. Matth. 11,29. Daß uns der liebe Herr die wachsame Aufsicht und väterliche Fürsorge Gottes über einen jeden seiner Gläubigen insonderheit wohl einbilden möge, so nimmt er einen solchen geringschätzigen Vogel und sagt, Gott habe sein Leben in seiner Hut und Hand und er werde ohne seine Vorsehung nicht gezeugt, ernährt und gefallt, wie viel mehr werde er auf uns Acht haben, und es werde uns ohne seinen Willen nichts widerfahren. So soll nun billig dieser Vogel nicht ein unnützer Vogel heißen, weil er uns von Gottes reicher Güte, allgewaltiger Regierung, mächtigem Schutz und väterlicher Fürsorge predigt. Auch die, so jetzt getroffen und gefallen sind, erinnern uns, daß wir, wenns uns wohl geht, nicht sicher sollen werden; indem sie sich freuen über den reichen Vorrath im Felde und den besten Weizen mit Lust essen, so lauert der Schütze auf sie, und müssen ihrer viele das Gelage mit dem Leben bezahlen, wobei wir billig gedenken an jenen reichen Kornbauern, welchen uns der Herr Jesus zum Crempel vorgestellt, welcher sich seines großen Vorraths freuend hören mußte: Du Narr! diese Nacht wird man deine Seele von dir nehmen, und weß wird sein, das du bereitet hast? Luc. 12, 20. Mein Gott! nichts ist unnütze, was du erschaffen hast! Das große Buch der Natur ist allenthalben mit guten Erinnerungen beschrieben, wenn wir nur Augen hätten, ihrer wahrzunehmen, und Herzen, sie zu betrachten.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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