Die Sonne

Man ward in einer gottseligen Gesellschaft von der Sonne redend, und sagte ein frommes Herz: Gott lasset seine Sonne täglich aufgehen über die Bösen und über die Guten. Matth. 5, 45. Und leider! die Bösen achten es so wenig, als das Vieh, und die Frommen nehmen es auch nicht nach Würden allemal zu Herzen. Unser Heiland führt es an als eine sonderbare Wohlthat Gottes und sagt nicht ohne Ursache: Seine Sonne, weil sie ein herrliches Wunder der Allmacht, Güte und Weisheit Gottes ist, und hat jener weise Mann nicht unschicklich gesagt: Die Sonne wäre ein sichtbarer Gott und Gott eine unsichtbare Sonne. Wenige Menschen aber leben unter der Sonne, die in Ansehung dieses überaus herrlichen Geschöpfs zum Lobe und zur Liebe des allergewaltigsten Schöpfers ermuntert werden. Seneca gedenkt eines üppigen und wollüstigen Menschen, welcher in vielen Jahren die Sonne weder auf-, noch nieder gehend gesehen. Denn des Abends, wann die Sonne unterging, war er schon voll und hatte ihm der Wein die Augen allbereits zugedrückt, des Morgens hatte er noch nicht ausgeschlafen; der möchte viel seines Gleichen unter den Christen finden. Gotthold sagte hierauf: Es ist wahr, daß der tausendste Mensch nicht bedenkt, wie viel Gutes täglich Gott durch die Sonne der ganzen Welt erweiset, und wenn man fragen sollte, wie viel der, so 30, 40, 50 und mehr Jahre unter der Sonne gelebt und ihrer von Gott verliehenen Güte genossen, Gott für die Sonne, für deren Auf- und Niedergang, für deren kräftige Wirkung und Einfluß gedankt, würden sich wenige finden. Es hat sich der allmächtige, gütige und weise Schöpfer in diesem herrlichen Wunder gar stattlich abgebildet. Ein vortrefflicher Mann unserer Zeit nennt sie ein Gleichniß der Gottheit, das Herz und den Regenten der Natur und sagt, sie sei, wie man durch die großen Perspektive und Augenhelfer wahrgenommen, anzusehen wie ein großes Meer, das mit stets aufsteigenden Dämpfen wallt, sie sei anzuschauen wie das geschmolzene und fließende Erz, wenn es in den Schmelzhütten in großen Kufen steht, welches immer gleichsam einen Rauch mit Licht und Feuer gemengt von sich dampft, daraus er denn ferner schließt, daß sie nicht allein die Quelle sei des natürlichen Lichts, sondern auch ein Ursprung aller zeugenden Samenkräfte, und daher eine rechte Seele der Welt. Die Schrift redet auch überaus merklich von ihr, indem sie sagt: Sie freue sich wie ein Held zu laufen ihren Weg, Ps. 19, 6., Sie eile mit Keuchen ihren Lauf zu vollenden und an ihren bestimmten Ort zu gelangen, Pred. 1, 5., damit anzudeuten nicht allein ihre unvergleichliche Geschwindigkeit im Lauf, sondern auch ihre natürliche Willigkeit, ihrem Schöpfer zu gehorsamen und der Welt nach der Gabe, die ihr zugetheilt ist, zu dienen. Sehet! so ist unser Gott. Ein ewiger Quellbrunn, der sich mit eitel Güte übergießt, und von dem alles, was gut ist, ausfließt, wie ein großer Lehrer davon redet, ein allezeit brennendes liebliches Feuer, ein ewig leuchtendes liebliches Licht, eine stets wallende und fließende Liebe, ein immerdar lebendes, wirkendes, treibendes Wesen, aus welchem aller Dinge Leben, Wesen und Sein ursprünglich herrührt. Dünket euch dieses zu hoch zu sein, Lieber, nehmet ein Blümlein, ein Veilchen, eine Rose, eine Nelke, welche aus der Erde wachsen und vor euren Füßen liegen; seht, sie breiten sich fröhlich aus, euch zu dienen und duften immer von sich einen kräftigen, lieblichen Geruch, euer Herz zu stärken und zu erfreuen, so daß, je näher ihr sie an euch haltet, je mehr ihr ihre Kraft empfindet. Hiebei gedenket: so ist mein Gott! ich kann ihn ohne Lebenskraft, ohne ausfließende Liebe und Güte nimmer finden; je näher meinem Gott im Geist und Glauben, je mehr Genießung seiner Güte. Es ist seine Freude, wenn er uns Gutes thun mag. Jerem. 32, 41. Er will uns gerne (freiwillig, mit Lust) lieben. Hos. 14, 5. Denket aber, daß wir auch so sein müssen. Gottes Kinder müssen Gottes Nachfolger und sterbliche Götter und Sonnen auf Erden sein, ihr Herz muß wie eine Rose sich ausbreiten jedermann zu Dienst und eitel Güte, Liebe, Freundlichkeit, Sanftmut!) und Dienstwilligkeit gleichsam von sich dampfen und duften. Gottes Barmherzigkeit ist alle Morgen neu, Klagl. 3, 23., die Sonne geht alle Morgen mit Freuden auf, und ein Kind Gottes erneuert seinen Vorsatz jedermann zu dienen, zu rathen, zu helfen, täglich und ist nach der Art seines Gottes viel williger zu geben, als andere zu nehmen. Die Sonne ohne Licht zu finden ist unmöglich, und einen Christen ohne Liebe, ohne Begierde Gutes zu thun, ohne Leutseligkeit, ohne Dienstwilligkeit ist eben so unmöglich. Herr Jesu! du bist die Sonne und Wonne meines Herzens! Ist bei mir einiges Licht, Kraft, Wille, Verlangen, es ist alles von dir. Mein Gott leuchtet und wirkt durch die Sonne und du durch mich; ich maße mich keines Guten an, sondern bitte nur, mir in Gnaden zu verzeihen, daß ich deiner Güte so oft hinderlich bin und dein Licht mit meinem Schatten verdunkle.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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