Die sonderlichen Naturen

Ein Vater hatte seinem kleinen Töchterlein seine Balsambüchse, damit zu spielen, gegeben, dessen aber das Kind bald genug hatte, indem es nicht allein die Büchse wegwarf, sondern auch so oft man ihm dieselbe wieder geben wollte oder nur vorzeigte, mit Abwendung des Gesichts, als wenn ihm sonderliches Leid geschehen wäre, zu weinen anfing. Als man nun hierüber sich verwunderte und der Ursache nachforschte, fand sichs, daß dem Kinde der Ambrageruch, damit das oberste Fach gefüllt, zuwider war, weil man solches Fach von den andern abgeschraubt, in ein Schnupftuch gewunden und als eine Puppe gestaltet ihm darreichte; welches es auch zuerst mit Lust annahm, sobald es aber den Geruch empfand, es mit Thränen wieder wegwarf Gotthold sah dieses mit an und sagte: Mich wird verlangen zu erfahren, ob mit zuwachsenden Jahren diese Eigenschaft bei dem Kinde bleiben und es sich selbst endlich, wenn es reden kann, erklären wird, daß ihm dieser Geruch entgegen sei. Sonst hat man von diesem Handel, daß der eine dies, der andere jenes nicht leiden könne, so seltsame und sonderbare Anmerkungen, daß es manchem unglaublich dünken möchte. Eine vornehme Frau in den Niederlanden hat keinen Frosch sehen oder hören können, daß sie nicht in eine Ohnmacht gefallen wäre, darum sie dann die sumpfigen Oerter, wo die Frösche sich aufzuhalten pflegen, als die Pest geflohen. Ein vornehmer Mann zu Lüttich hat keinen Aal ohne Ohnmacht ansehen können, ja, als man einmal die Aale in einer Pastete gebacken und unvermuthet zu Tisch gebracht, ist er beim Tisch als todt niedergesunken und nicht wieder zu sich selbst gekommen, ehe man die Pastete weggeschafft. Ich kenne einen jungen Menschen, der keine Aepfel leiden, vielweniger kosten kann. Jener Mönch konnte keine Rose, eine Jungfrau von vornehmem Geschlecht und schöner Gestalt, des Scaliger Gefreundete, konnte ohne Ekel keine Lilie ansehen, und es wäre ihr Tod gewesen, wenn sie selbige hätte anriechen sollen. Und wie viel sind derer, welche die Katzen, die Käse und andere Dinge nicht sehen oder hören können! In Untersuchung der Ursachen dieser sonderlichen Naturen wird es wol am sichersten sein zu bekennen, daß der Faden unsers Verstandes auch die Geheimnisse der Natur zu ergründen zu kurz ist. Ich wünsche mir hiebei eine solche Natur, die vor der sündlichen Lust, als wie dieses Kind vor dem Ambrageruch, einen Abscheu habe, zuvörderst da nichts der Natur mehr zum Verderben gereicht, als das, was sie von Beobachtung des göttlichen Willens abwendet. Diese Art aber muß der H. Geist in uns pflanzen; sonst ist unsere Natur an ihr selbst so verderbt, so sonderlich und seltsam, daß sie ihr Gift liebt. Mein Gott! gieb mir diese heilige Art, daß ich ohne Ekel, ohne Abscheu, ohne Eifer, ohne Seufzer und bittere Thränen an keine Sünde gedenke!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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