Die schwerste Arbeit

Die Kinderschriftstellerin und Diakonissenmutter Elise Averdieck schreibt davon: Ich bin sehr alt, aber das Herz ist jung geblieben und möchte etwas tun, um zu zeigen, dass es noch lebt, aber - es ist überall gehemmt! Und das hat mich in den letzten zehn bis zwölf Jahren gelehrt:

Die schwerste Arbeit, die uns aufgetragen wird, ist ... das Altwerden. Der Kopf kann nicht mehr denken, überlegen, überschauen, wie er wohl möchte. Der Rücken kann mich nicht schmerzlos tragen; Beine und Füße wollen nicht mehr laufen, geschweige denn klettern oder springen. Die Augen versagen das Sehen, die Ohren das Hören, die Hände das Nähen, und die Glieder haben doch alles gekonnt und so gern getan! Ja, ja, das ist das Alter! - Anfangs versucht man noch dies oder das, klagt es auch wohl dem Arzte, bis dieser mit dem gemütlichsten Gesicht von der Welt sagt: "Ach, das sind die Jahre! Was willst du mit 86 Jahren noch weiter beanspruchen? Du bist ja so prächtig frisch und fähig!" Da ging ich zu Pastor Salomonis, der gab mir den köstlichen Rat: "Fröhlich sein in deiner Arbeit, das ist dein Teil!" Ist also das Alter eine Arbeit, so wird Gott uns auch helfen, sie fröhlich zu tun. Ich habe von einer Bekannten ein Gedicht bekommen, verfasst von einer 80-jährigen, das will ich dir abschreiben:

Was ist die größte Kunst auf Erden?
Mit frohem Herzen alt zu werden -
zu ruhen, wo man schaffen möchte,
zu schweigen, wo man ist im Rechte.

Gehorsam still sein Kreuz lernt tragen,
zu hoffen, wo man am Verzagen
und neidlos andere zu sehn,
die rüstig Gottes Wege gehn.

Die Hände in den Schoß zu legen
und sich in Ruhe lassen pflegen
und wo man sonst gern hilfreich war,
sich nun die Demut machen klar.

Ein letzter Schliff für's alte Herz,
zu lösen sich von allem Schmerz
und von den Banden dieser Welt,
die einen fest umfangen hält.

Die Kunst lernt keiner völlig aus,
drum gibt's auch manchen harten Strauß
in alten Tagen durchzukämpfen,
bis wir des Herzens Unruh dämpfen.

Und willig uns ergeben drein,
in stiller Demut nichts zu sein.
Dann hat uns Gott nach Gnadenart,
die beste Arbeit aufgespart.

Kannst du nicht regen mehr die Hände,
kannst du sie falten ohne Ende;
herabziehn lauter Himmelssegen,
auf all die harten Lebenswege.

Und ist die Arbeit dann getan
und naht die letzte Stund heran,
von oben eine Stimme spricht:
"Komm, du bist mein, ich lass dich nicht!"

Ich muss zu jeder Zeile ja, ja sagen, so ist es; die das geschrieben, die hat es erfahren. Ja, sind wir uns klar über unsere Altersaufgabe, dann steigt es lobend hinauf: "Du, Gott, bist doch allezeit meines Herzens Trost und mein Teil!"

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 106
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