Die Schulknaben
Gotthold sah bei einander eine ziemliche Anzahl Knaben, die zur Schule gehalten wurden, und, ob er wohl über 20 zählen konnte, die fast einer Größe und vermuthlich auch eines Alters waren, so betrachtete er doch mit Verwunderung die mancherlei Gesichter, die unterschiedenen Mienen und Geberden und so mancherlei Ansehen, das sich an ihnen wahrnehmen ließ. Etliche stellten sich frech, verwegen und wild, etliche sittig und bescheiden, etliche lachten, etliche sahen traurig, etliche schienen aufrichtig, etliche tückisch und höhnisch, etliche einfältig, etliche spitzfindig. Er sagte darauf bei sich selbst: wie ein schwer Ding ist’s doch, die Jugend wohl zu erziehen, zumal, da so unterschiedene Naturen und Anlagen unterschiedener und verständiger Aufsicht und Regierung bedürfen! Hier muß wol einer allen alles werden. Hierzu gebe sich ja niemand an, der nicht mit vernünftiger Bescheidenheit und ernster Freundlichkeit einem und andern Gemüth beizukommen weiß, zuvörderst, da einem solchen Menschen die Hoffnung der ganzen Stadt anvertraut wird. Denn was sind die Schulen anders, als Pflanzgärten, darinnen man die jungen Bäume aus dem Kern zieht, daß man hernach sie in alle Stände zu fruchtreicher Benutzung versetzen könne? Ach aber! eins wird gar zu sehr hierbei vergessen: das andächtige Gebet nämlich um glückliche und gesegnete Erziehung der lieben Jugend. Wenn manche Eltern so emsig wären, für ihren Sohn zu beten, als sie sind, einen Vorrath von zeitlichen Gütern für ihn zu sammeln, so würde er besser gerathen und ihre Mühe mit mehrerer Freude erwiedern, als es, leider! oft geschieht. Mein Gott! wie du mancherlei Gewächse aus der Erde kommen läßt, welche unter mancherlei Farben, in mancherlei Gestalt, mit mancherlei Kräften dem einigen Menschen dienen sollen, also hat dir beliebt, die Menschenkinder, wiewohl unter einerlei Gestalt, unterschiedlich zu gestalten und zu naturen, und dennoch aller Naturen zu deiner Ehre und dem gemeinen Nutzen einzurichten. Unsere Kinder sind Edelsteine, die niemand besser, als du zu poliren und zu versetzen weiß, darum sei du mein Gott! der Oberaufseher und Oberster aller Schulen und gieb Gnade, daß auch bei unsern Zeiten tüchtige Leute erzogen werden, die nach unsern Zeiten (so anders dir beliebt, daß welche sein sollen) dir und der Welt dienen mögen.
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