Die Schmerzen

Es bezeugt die Erfahrung, daß, wenn einer etwa einen schweren Fall gethan, Arm oder Bein zerbrochen und solches glücklich wieder geheilt worden, dennoch der Mensch an solchem geheilten Schaden, vornehmlich wenn Ungewitter vorhanden ist, Schmerzen empfindet. Gotthold mußte dies auch erfahren und pflegte im Scherz zu sagen, daß er einen gewissen Kalender an seinem Leibe hätte, der ihm von bevorstehendem Regen, Wind und anderem Gewitter gute Nachricht gebe. Als er nun diesem einmal etwas weiter nachsann, wußte er’s nicht anders, als eine geheime Anregung des lieben Gottes zu nennen, dadurch er uns erinnert, daß wir ihm unser Leben lang danken sollen, weil er uns bei solchem Unglück gnädigst behütet, daß es nicht schwerer geworden und wir den Hals gar gebrochen, oder durch Verwahrlosung nicht Krüppel und lahm geworden sind. Wie nun aber, sagte er ferner, der Leib, also auch die Seele hat ihre Fälle, Heilung und Schmerzen. Ach, mein Gott! was ist dies elende Leben anders, als ein kothiges Pflaster, schlüpfriges Eis und gefährliche Stiege? Wie leicht ist es geschehen, daß wir gefährliche Sündenfälle thun und dadurch unsere Seele verletzen? Sprüchw. 8, 36. Da nimmst du dich zwar unserer herzlich an und heilst alle unsere Gebrechen, doch damit wirs nicht vergessen und in Demuth vorsichtiglich lernen wandeln, so empfindet auch unser Gewissen zuweilen seine Schmerzen von den Fällen, die es sonst lange vergessen hat. Mein Gott! so oft mir eine schmerzliche Erinnerung meiner Sünden zufällt, habe ich Ursach, dir zu danken, daß du mich nicht plötzlich in solcher Sünde umkommen und verderben lassen, sondern nach deiner unbegreiflichen Güte mich erhalten hast, ingleichen, daß du nicht zu meinem Schaden stille sitzest, sondern denselben in diesem Leben von Grund aus zu heilen bemüht bist, damit ich nicht dermaleinst des ewigen Todes daran sterbe. Die Gewissensschmerzen entstehen von dem Wein des Gesetzes, den du in meine Wunden gießest, daß du sie reinigest, dabei aber ist allezeit das Oel deiner Gnade, welches sie lindert und heilt. Es sei nun Schmerzen oder Linderung, so bin ich versichert, daß alles zu meinem Besten dient, und weiß also nichts wider deine Kur zu sagen.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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