Die Schlangenhaut

Gotthold fand, als er durch ein Gebüsch spazieren ging, eine Schlangenhaut so unversehrt, daß auch der Kopf und die Augen daran ganz förmlich zu erkennen waren, und weil er wohl wußte, daß sie in einem und andern Fall ein kräftiges Mittel giebt, hob er sie auf und gedachte an eines weisen Mannes Worte (v. Serre): „Wenn ein gottloser Reicher oft mit Kleidern wechselt, gemahnt michs wie die Schlangen, die oft die Haut wechseln und bleiben doch Schlangen.“ Bald darauf gerieth er in nachfolgende Gedanken: dieser giftige und feindliche Wurm zieht jährlich seinen alten Rock aus und erneuert also sich selbst und seine Kräfte; wie sollte denn ein Mensch nicht darauf bedacht sein, daß er den alten Menschen ablegen, sich im Geiste seines Gemüths erneuern und den neuen Menschen anziehen möge, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffner Gerechtigkeit und Heiligkeit? Eph. 4, 22. 23. 24. Ach, mein Gott! dies ist ein Werk, das mir zu schwer fällt; wo du nicht mit deiner hülfreichen Hand mir die alte Sündenhaut abstreifst und durch deine Gnade und Geist mein Herz erneuerst, so ist alle meine Mühe umsonst. Ich weiß wohl, mein Vater! daß, wie die Schlange ihrer Haut nicht los wird, wo sie sich nicht durch die Enge zwingt, also meine Erneuerung ohne Angst, Traurigkeit, Kreuz und Beschwerde nicht geschehen kann. Was schadets aber, wenn ich dadurch besser und dir gefälliger werde? Ich bin ohne Schmerzen zur Welt nicht geboren, vielweniger werde ich ohne dieselben zum Himmel geboren werden. So schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gieb mir einen neuen gewissen Geist! Ps. 51, 12.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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