Die schlaflose Nacht

Es klagte Gottholden einer seiner Freunde, daß er die vorige Nacht fast wenig geschlafen und, ob er wohl den Schlaf auf allerlei Art gesucht, wäre doch derselbe von ihm geflohen. Gotthold antwortete: Wenn ihr wüßtet, wie man sich eine schlaflose Nacht zu Nutz machen könnte, würdet ihr darüber nicht klagen. Jener König, als er erinnert wurde, schlafen zu gehen, sagte: Ich wollte gern so lange König sein, als ich kann; denn wenn ich schlafe, bin ich gleich einem der geringsten meiner Unterthanen; wenn ich aber wache, hab ich ihnen allen zu gebieten. Ich dürfte schier auch sagen: Ich wollte gerne so lange ein Christ sein, als ich kann; denn wenn ich schlafe, ob ich wohl ein Christ bleibe, so genieße ich doch so meines Christenthums nicht, als wenn ich wache, ohne was zuweilen in einem fröhlichen Traum geschieht, welches doch mit den gottseligen Hebungen der Wachenden nicht zu vergleichen ist. Ich schätze mich glückselig, wenn die Ruhe meines Leibes verstört, die Seele aber durchs Gebet und gottselige Betrachtung zur Ruhe in Gott geführt wird. Wenn ich den Schlaf nicht finden kann, so suche ich des Nachts in meinem Bette, den meine Seele liebt, und höre nicht auf zu suchen, bis ich ihn finde, und sage: Ich halte ihn, und will ihn nicht lassen! Hohel. 3, 1. 4/ Ich wollte, daß es die Schwachheit dieses nichtigen Leibs zugäbe, daß ich nimmer schlafen dürfte, auf daß ich immer im Lobe Gottes und Dienst meines Nächsten möchte erfunden werden. So der große Gerichtstag bei Nacht sollte herein brechen, wollte ich lieber, daß er mich wachend, als schlafend anträfe, damit ich desto bereiter wäre, meinen Herrn Jesum mit einem fröhlichen Jubelgeschrei zu empfangen. Darum, wenn euch dergleichen Nächte mehr kommen sollten, so plaget euch nicht lange mit Sorgen und allerlei mißlichen Gedanken, denn das sind rechte Igel, die einem Menschen das Blut aus dem Herzen saugen, sondern richtet bald euer Gemüth zu Gott und haltet es geschäftig in göttlichen Dingen! nehmet Anlaß, der Güte Gottes, deren ihr euer Leben lang genossen, nachzudenken! stellet euch im Geist unter die Chöre der h. Engel, welche nimmer schlafen, sondern Tag und Nacht ihren Schöpfer loben! nehmet einen Machtspruch der Schrift und gebet euern Gedanken daran zu thun, redet mit Gott und dem Herrn Jesu und lasset ihn mit euch reden, zu welchem Ende nicht undienlich ist, wenn man ein fertiges Feuerzeug und gutes Buch vor dem Bette hat, damit man auf allen Fall sich jenes ein Licht anzuzünden und dieses zum Lesen bedienen könne. Mein Herr und mein Gott! ich bleibe dein, ich schlafe oder wache.

So oft die Nochi mein Ader schlägt,
Soll dich mein Geist umfangen; 
So vielmals sich mein Herz bewegt, 
Soll dies sein mein Verlangen, 
Daß ich mit lautem Schall 
Möcht rufen überall: 
Herr Jesu! Jesu! du bist mein!
Und ich auch bin und bleibe dein!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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