Die Schlafgänger

In einer Gesellschaft gerieth man unter anderem auch auf die Rede von den Schlafgängern, welche bei Nacht schlafend aufstehen, hin und wieder wandeln und allerlei wunderliche, seltsame Dinge vornehmen, auch zuweilen ungeachtet der großen Gefahr, darinnen sie schweben, glücklich vollbringen. Als man nun nach Anführung vieler Exempel von den Ursachen solchen seltsamen Thuns sich befragte, sagte Gotthold: Ich kann anders nicht befinden, als daß nebst den natürlichen Ursachen auch der Satan auf Gottes Verhängniß bei solchen Leuten geschäftig sei, doch also, daß ihm der h. Engel Wachsamkeit stets widersteht und Gottes gnädige Verordnung ihm Maß und Ziel bestimmt, wie weit er gehen soll, und das darum, daß wir auch im Schlaf nicht sicher sein, sondern denselben mit eifrigem Gebet anfangen und mit fleißigster Dankbarkeit enden sollen. Wer ein und ander Exempel mit Nachsinnen betrachtet, wird hierin mir leicht Beifall geben. Jener Schulmeister, Gundisalvus, wurde gewiß im Schlaf von dem Mordgeiste geführt, als er einen andern in seinem Bette mit einer Scheere erstechen wollte, welches aber derselbe, der eben ohne Zweifel durch Gottes Schickung wachte, bei hellem Mondschein gewahr geworden, sich hinterm Bette verkrochen und den Schlafwanderer in sein Hauptkissen 3 oder 4mal hat stechen lassen. Nicht weniger denkwürdig ist, was sich mit einem spanischen Edelmann, Tapia zugenannt, begeben, der, als er auch einmal seiner Gewohnheit nach bei heißer Sommerzeit im Schlaf gewandelt und sich im kalten Fluß abzukühlen willens gewesen, vom bösen Geist in ein tiefes Loch oder Schlund im Wasser von der Brücke zu springen beschwatzt worden und kaum mit dem Leben wieder ans Ufer gekommen ist. Ich selbst habe von den Meinigen oft erzählen hören, daß ein Goldschmid einen Gesellen gehabt, der mit dieser Krankheit beladen gewesen, als nun derselbe einmal zeitig schlafen gegangen und in der Stube viel Frauen und Jungfrauen aus selbigem und benachbarten Häusern beisammen gewesen, in einem Kreis ums Licht gesessen und gesponnen haben, ist er im Schlaf aufgestanden, bloß bis aufs Hemde in die Stube gegangen, hat eine schwere Lade ergriffen und dieselbe ohne besondere Mühe aufgehoben, willens unter sie zu werfen, daß sie kaum mit ängstlichem Geschrei ihn ermuntern und abhalten konnten, da er endlich die Lade niedergesetzt und ganz erschrocken und schamroth wieder zu Bette geeilt. Laßt uns aber an diesen Leuten wahrnehmen ein Ebenbild der üppigen Weltkinder, die da wachend schlafen und sich in ihrem ganzen Leben, so tags als nachts, von ihren sündlichen Einbildungen und Begierden, von der Welt Reizung und des Teufels Einraunen leiten und führen lassen. Es geht ihnen zwar ihr Muthwille eine Zeit lang wohl von statten, allermaßen als die Schlafgänger bei Nacht oft das erreichen und ersteigen, wohin sie bei Tag wachend schwerlich hätten gelangen sollen; allein, wenn die Langmuth Gottes nun endlich ermüden wird, ihrem Frevel und Sicherheit zuzusehen, so dürften sie, leider! mit ihrem ewigen Schaden erfahren, daß sie im Schlaf und in der Nacht gewandert und die große Gefahr ihrer armen Seele nicht bedacht haben. Hilf, mein Gott! du Menschenhüter, daß, wenn ich schlafe, mein Herz dennoch wache! behüte mich vor Sicherheit und leite mich mit deinen Augen, so werd ich auf allen meinen Wegen sicher wandeln können.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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