Die scheinbar ungeeignetste Predigt

C. H. Spurgeon:
Habt ihr die Geschichte von jenem schottischen Prediger gehört? Es handelt sich um eine zweifellose Tatsache. Er hatte in einer gewissen Stadt zu predigen und nahm das Konzept der Predigt mit, die er zu halten gedachte. Er ging  vorher in ein ihm angewiesenes Zimmer, um zu beten und sein Manuskript noch einmal durchzulesen und sein Gedächtnis aufzufrischen. Nachdem er sich von seinen Knien erhoben hatte, konnte er sein Manuskript nicht finden. Er geriet deswegen in große Besorgnis, denn er konnte sich absolut auf keine andre Predigt besinnen, als auf die eine, die er in jüngster Zeit vor seiner eignen Gemeinde über den Text gehalten hatte: "Du sollst nicht töten!" Es erschien ihm aber doch gar seltsam, hier, wo er als Gastprediger seinen Freund vertreten sollte, gerade diese Predigt zu halten. Es war noch dazu eine aus einem Zyklus von Predigten, die er vor seiner Gemeinde über den Dekalog hielt. Aber wenngleich sie sich für diesen Fall gar nicht zu eignen schien - er konnte sich absolut auf keine andre besinnen und so predigte er denn über den Text: "Du sollst nicht töten!" Eine Predigt, die sich gegen das Verbrechen des Totschlages und des Mordes richtete, als Gastpredigt! 
Als alles zu Ende und der Prediger auf kurze Zeit in ein Nebenzimmer gegangen war, huschte ein fast wahnsinnig aussehender Mann zu ihm herein und machte die Tür dicht hinter sich zu, damit niemand ihn hören könnte. Hier bekannte er dem Prediger, dass er einen Mord begangen habe und bisher noch unentdeckt geblieben sei. Er erbat und empfing von dem Prediger Rat, was er tun müsse, um zum Frieden mit Gott zu gelangen. Nachdem er mit dem Mörder gebetet hatte, ging er in sein Logis, wo er zuerst gebetet und sein Manuskript vermisst hatte. Das erste, was er sah, als er ins Zimmer trat, war die Predigt, die er zu halten beabsichtigt hatte. Sie lag da, wo er sie hätte sehen müssen, wenn seine Augen nicht gehalten worden wären. Aber zuweilen sehen wir nicht, was unmittelbar vor unsern Augen liegt und dieser gute Mann hatte sein Manuskript nicht sehen können, weil Gott in seiner Vorsehung etwas andres beschlossen hatte.

Quelle: Das Buch der Bilder und Gleichnisse (2000 der besten Illustrationen), Charles Haddon Spurgeon, 1904, Beispiel 1231
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