Die Schafwäsche
C. H. Spurgeon (1834-1892) erzählt: Neulich saß ich an einem Fenster, von dem ich die Aussicht auf einen kleinen See hatte. Ich sah da etwas, was mich sehr belustigte und zugleich allerlei Gedanken in mir anregte. In den See hinaus lief ein hölzerner Steg, auf den unter dem Bellen der Hunde, dem Geschrei der Männer und auch einiger Verwendung des Stocks eine Anzahl Schafe, offenbar sehr gegen ihre Neigung, getrieben wurde. Als die Tiere glücklich am Ende des Steges waren, wurde eins nach dem ändern ohne Umstände gepackt und ins tiefe Wasser geworfen. Als sie wieder auftauchten, schwammen sie natürlich kläglich blökend dem Ufer zu. Aber sie wurden von Männern in Booten erwartet, die mit ihren Rudern alle, die sie erreichen konnten, wieder untertauchten; andere wurden vom Lande aufs neue auf den Steg getrieben. Die Farbe des Wassers zeigte, wie nötig die Schafe das Waschen hatten. Als die Lämmer sich um ihre Mütter auf dem Lande wieder zusammenfanden und ihr triefendes Fell schüttelten, hörte man ein fröhliches Blöken. Aber es war verfrüht, denn die ganze Herde wurde noch einmal ins Wasser getrieben und jedes Schaf ein zweites Mal untergetaucht. Es war ein schwerer Tag für die Tiere; sie kamen alle aus dem Wasser wie Wesen, die nicht mehr wissen, was sie von der Sache denken sollen. - Der Schäfer war ziemlich kühl geblieben, die Schafwäsche schien ihm sogar Spaß zu machen. Doch bemerkte ich, dass er mit seinen Tieren schonend, ja mit einer gewissen Zartheit umging und den Lämmern, deren Fell weniger Schmutz an sich hängen hatte als die lange Wolle der älteren Tiere, das zweite Untertauchen ersparte. Er führte freilich in diesem Augenblick seine Herde nicht auf eine grüne Weide und zum frischen Quell, aber er handelte doch an ihr jetzt ebenso gut wie der Hirte, wie wenn er die Lämmer auf den Armen trug und die Herde für die Nacht in die Hürde brachte.
Die Schafwäsche wurde mir zu einem Bild der reinigenden Trübsale, die wir durchmachen müssen. Wir haben schon manchmal ein solches Zerren und Stoßen erfahren und noch viel grimmigere Hunde als jene Schäferhunde bellen hören. Wir werden kopfüber in ein Meer des Leidens gestürzt und können kaum den Kopf oben halten. Und dann kommen immer noch neue Nöte, die uns hinunterdrücken, so dass die Wogen über uns zusammenschlagen. Wie schwer ist es, ans Land zu schwimmen, wenn die Sorgen uns hinabziehen wie das nasse Fell die Schafe! Und wenn wir mit Mühe und Not herauskommen und meinen, aufatmen und uns der Befreiung freuen zu können, so gewahren wir oft zu unserem Schrecken, dass das ganze Elend noch einmal anfängt, dass wir uns neu der Flut erwehren müssen. Wir müssten den Mut verlieren, wenn wir nicht daran dächten, dass der gute Hirte uns keine unnötigen Prüfungen auferlegt, sondern wohl weiß, was uns not ist. Wir sind nicht wie die Schafe, die nicht wissen, wozu die Not gut ist; darum wollen wir uns auch nicht gegen die Hand, die die Prüfung verhängt, sträuben. Wir erkennen die natürliche Verkehrtheit unseres Wesens und wieviel Züchtigung not ist, sie uns auszutreiben. Darum wollen wir "Ja" zum Leiden sagen und beten, dass es uns zum Segen werde. Möchten wir, wenn wir ans Ufer schwimmen, unseren Stolz, unsere Weltliebe, unsere Trägheit und all unsere bösen Gewohnheiten dahintenlassen, um durch die Gnade des Heiligen Geistes rein zu werden wie eine frischgewaschene Herde Schafe!
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