Die Rute
Gotthold kam zu einem Freunde, als derselbe mit den Seinigen über Tische saß, wobei er denn dieses alsobald in Acht nahm, daß zwar den Kindern ihre Speise und Brod gereicht war, davon sie fein sittig und stille essen mußten, es lag aber die Ruthe auf dem Tisch neben des Vaters Teller ihnen zur Warnung, damit sie sich vor Ungebühr und Uebelstand hüten möchten. Darauf sagte er: Ihr machts, wie unser lieber himmlischer Vater mit seinen Kindern, er bereitet zwar vor ihnen einen Tisch, Ps. 23, 5., und giebt ihnen öfters allerlei Gutes, geistlich und leiblich, zu genießen. Doch muß die Ruthe, das liebe Kreuz, auch nicht weit sein, damit wir nicht muthwillig werden, sondern in seiner heiligen Furcht und kindlichem Gehorsam einher gehen. In oder, wie etliche wollen, bei der Lade des Bundes im alten Testament ward nicht allein die goldne Gelte mit dem Manna, sondern auch die Ruthe Aarons, die ehemals geblüht hatte, aufbehalten, Hebr. 9, 4., anzudeuten das Hausrecht unsers Gottes, daß er zwar die Seinigen mit dem verborgenen Manna, Offenb. 2, 17., seiner süßen Gnade speisen, doch aber nach seinem Gutbefinden die Ruthe darnebst brauchen wolle, beides zu unserm Besten und zu unserer Seligkeit. Es ist eine Hand, welche den Tisch bereitet und die Ruthe führt, es ist ein Herz, daraus Trost und Kreuz kommt, Gott bleibt unser liebster, gnädiger Vater, sowohl, wenn er stäupt und züchtigt, als wenn er erquickt und tröstet. Und wie jener weise Mann wohl gesagt hat, es wäre noch zweifelhaft, ob das Brod oder die Ruthe den Kindern dienlicher sei, weil sie zwar ohne Brod nicht leben, ohne Ruthe aber nicht wohl leben könnten, so mögen wir auch nur gestehen, „daß das liebe Kreuz uns so noth ist, als das Leben selbst, und noch viel nöthiger, ja nutzer, als aller Welt Gut und Ehre,“ wie der gottselige Arnd redet, der weiter an einem andern Ort sagt: „Gleichwie die größte Wohlthat, die man kann einem Kind beweisen, ist die Ruthe, also ist die größte Wohlthat Gottes an uns das liebe Kreuz, dafür sollen wir Gott die Gelübde der Dankbarkeit bezahlen vor allen Auserwählten, wie denn dieselben thun im Himmel vor allen h. Engeln.“ Freilich ist kein Zweifel, weil die seligen Seelen im Himmel das Geheimniß des Kreuzes nunmehr völlig verstehen und dieser bittern Wurzel süße Frucht in ewiger Ruhe genießen, daß sie dem allein weisen und gütigen Gott insonderheit für sein h. Kreuz und väterliche Zuchtruthe danken, ohne welche sie zu dieser Herrlichkeit und Seligkeit nicht gelangt wären. Lasset uns dieses auch lernen und von Herzen sagen: Es ist mir lieb, daß du mich gedemüthiget hast, daß ich deine Rechte lerne. Ps. 119, 71. Ich danke dir, Herr, daß du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und tröstest mich. Jes. 12, 1. Wir mögen uns aber wohl versichern, wir haben es gerne oder nicht, so wird doch der Herr, unser Gott, seine Weise nicht ändern, wer Gottes Kind sein will, der muß Brod und Noth bei einander haben, wer an Gottes Tisch essen will, der muß sich nicht lassen befremden, daß die Ruthe darauf liegt, und daß er mehrmals das Brod seines himmlischen Vaters mit Thränen essen muß. Hier in der Welt schickt sichs nicht anders; wenn wir im Himmel werden zu Tische sitzen, so sollen alle Ruthen ins Feuer geworfen sein. Mein Vater! ich werde allmälig deiner Weise gewohnt und weiß wider dein Hausregiment nichts zu reden; ich bemühe mich täglich, zu lernen, nicht allein das Brod, sondern auch die Ruthe zu küssen und zu lieben.
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