Die Rüben

Als Gotthold im Felde spazieren ging und viele Weiber auf den Aeckern Rüben aufgraben sah, sagte er zu einem guten Freunde: Dies ist auch eines von den nützlichsten Geschöpfen Gottes, dafür er doch wenig Dank hat. Es giebt uns nicht allein schöne, wohlschmeckende und nützliche Früchte über, sondern auch unter der Erde; die märkischen, bortfeldschen, gottländischen und andere Rüben sind jederzeit, vornehmlich wo sie selten sind, in ihrem Werth gehalten, so, daß man sie zuweilen gereinigt auf einen Tell r gelegt und unter anderm Confekt und Obst auf vornehme Tische getragen. Als Kaiser Rudolph der Erste einmal eine Stadt belagert und mit seinem Kriegsheer ziemlichen Mangel an Lebensmitteln hatte, weshalb auch die Soldaten begannen schwierig zu werden, ging er öffentlich hinaus auf einen Rübenacker, zog eine und andere heraus, säuberte sie und fing an, mit sonderlicher Lust davon zu essen, wodurch er seine Leute bewogen, daß sie sich auch nicht geschämt, ihren Hunger mit Rüben zu stillen. Woraus erhellt, theils daß die Natur mit Wenigem und Geringem zufrieden ist, wenn sie nur von üppiger sündlicher Lust nicht verleitet wird, theils daß vornehmer Personen Exempel bei dem Volk zum Guten und Bösen viel vermag. Zu verwundern ist es auch, daß an etlichen Oertern die Rüben über die Maßen groß werden, ob es wohl ein kleines Samenkörnlein ist, das zu ihrem Wachsthum in die Erde geworfen wird. Mathiolus erzählt, daß aus diesem kleinen Körnlein an etlichen Orten innerhalb 3 Monate eine Wurzel 700 Pfund schwer gezeugt wird; von 30 Pfunden habe er sie oft selbst in großer Menge gesehen. Das lehrt uns, wie es Gott in geistlichen und leiblichen Dingen unschwer sei, ein Geringes groß zu machen, darum wir mehr auf sein, als unser Vermögen zu sehen uns gewöhnen sollen. Wobei mir noch einfällt, daß es im Jahre 1571 geschehen, als allenthalben große Theurung und Mangel an Lebensmitteln eingefallen, und zweifelsfrei viele ängstliche Seufzer gen Himmel geschickt worden, daß es in Schlesien um Goldberg, Lemberg und andere Oerter Weizen, Roggen, Erbsen und auch kleine Rübchen geregnet, welches armen Leuten, die allenthalben zusammen gelaufen und dieses Wundergeschöpf Gottes mit Freuden gesammelt, wohl zu statten gekommen. Also lebt derselbe Gott noch, der ehemals das israelitische Volk in der Wüste mit Himmelsbrod gespeist hat, und ist seine Güte noch unerschöpft und seine Hand unverkürzt. Wenn wir ihn nur fürchten, lieben und ehren wollten! Fürwahr, manche sichere, bittere, böse Menschen sind nicht werth, daß sie einen so gütigen, frommen, barmherzigen und wohlthätigen Gott haben sollen!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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