Die Reise
Gotthold hatte eine kleine Reise auf etliche Tage vor; als nun der Wagen und alles fertig war, blieb einer der Gefährten lange aus, und als man nach ihm schickte, befand sich, daß er seine Sachen noch nicht eingepackt und fertig gemacht; wie er nun endlich sich eingestellt, und man fortgefahren war, fing Gotthold an: Ihr müsset uns gleichwohl nicht umsonst heute eine Stunde versäumt und aufgehalten haben, eure Strafe soll sein, daß ihr eine gute und heilsame Erinnerung anhören und jederzeit behalten sollt. Wisset ihr, wem ihr heute mit eurer Säumniß gleich gewesen seid? Den Weltkindern, welche allemal in der Eitelkeit so viel zu thun finden oder machen, daß sie sich zur Ausfahrt aus der Welt nicht bereit und fertig halten können. Darum erfährt mans täglich, daß die meisten Menschen unwillig sind zum Sterben und unbereitet; sie haben im Leben so viel zu thun gehabt, daß sie an den Tod nicht gedacht. So wollen sie denn in der letzten Stunde ihr Wandergeräth erst zusammen suchen, ich will sagen: sie wollen dann erst Buße thun, glauben, lernen, beichten, beten, fromm werden; dann wollen sie erst ihr Haus bestellen, ein Testament machen und sich von der Welt los wirken, welche sie doch oft so fest hält, daß sie unwillig und mit heimlichem oder öffentlichem Murren aus der Welt scheiden. „Es sind wenig Menschen“, sagt ein weiser Niederländer (Johann de Brune), „die ihr Leben vor dem Tod vollenden. Die wenigsten gehen (mit Willen) zum Grabe, die meisten werden dahin geschleppt, sie scheiden nicht aus dem Leben, sondern werden daraus gejagt.“ Ich halte viel davon, daß man in der Zeit sich fertig halte zur Reise und zum Tode; die Nachlässigkeit und das Zeitgenug ist weder zum Leben, noch Sterben dienlich. Wenn wir uns nicht christlich haben bereitet und zum Tode fertig gemacht, so sind wir auch unwillig und folgen dem Willen Gottes wider unsern Willen. Ein Christ soll im Tode nicht sein wie ein Kind, das mit der Ruthe das Spiel zu lassen gezwungen wird, sondern wie eins, das des Spiels müde willig zu Bette geht; er muß nicht sein, wie ein Schiffer, dem das Ungewitter sein Schiff mit Gewalt vom Lande los reißt und auf der See hin und wieder wirft, darauf der Untergang und Schiffbruch pflegt zu folgen, sondern wie einer, her segelfertig liegt, bei erstem gutem Winde seine Anker mit Freuden aufhebt und mit gutem Muth und Hoffnung dahin fährt. Der fromme Mönch Staupitz sagt: „Stirb, wie Christus starb, so stirbst du ohne allen Zweifel selig und wohl!“ Wie starb aber Christus? Niemand, spricht er, Joh. 10, 18., nimmt mein Leben von mir, sondern ich lasse es (lege es willig nieder) von mir selber. Und der h. Lucas spricht: Cap. 9, 51. Da die Zeit erfüllt war, daß er sollte von hinnen genommen werden, wendet er sein Angesicht stracks gen Jerusalem zu wandeln, das ist, er reisete dahin mit getrostem, freudigem Herzen und unerschrocknem Gesichte. Diesem Vorgänger lasset uns folgen, und damit wir ihm getrost und willig folgen, uns allemal bereit und fertig halten; lasset uns unsere Sachen so ausrichten und anstellen, daß wir im Sterben nichts anders zu thun haben, als sterben. Eines will ich noch hinzu thun: indem ich dieses rede (schreibe), muß ich bereit sein zu sterben; seid ihr es auch, indem ihr es hört (leset)! Herr Jesu, liebster Erlöser! mache uns bereit!
© Alle Rechte vorbehalten