Die Rechtssache
Ein Freund klagte, daß er einen schweren Rechtshandel hätte mit jemand bekommen, der ihm nicht allein große Unkosten, sondern auch viel Verdruß und Unruh verursachte. Gotthold sprach: Es hat jener berühmte Jurist sehr wohl gesagt, ein Mensch, der rechten wolle, müsse drei Taschen haben, eine zu den Briefen und Urkunden zum Beweisthum und sonst nöthig, die andere zum Gelde und Unkosten, die dritte zur Geduld, wenn die Sache lange währt oder gar verloren wird. Vielleicht habt ihr euch auf diese Taschen noch nicht geschickt; wie aber, habt ihr denn kein Mittel gefunden, mit eurem Widersacher euch zu vergleichen, als das heutige verdrießliche und gottlose Rechten? Verwundert euch nicht, daß ich dem Rechten ein solches Beiwort hinzusetze, maßen es leicht sonnenklar zu erweisen ist, daß es ein solches wohl verdient, und es urtheilt ein hochberühmter Gottesgelehrter (Chemnitz), daß bei jetzigen Läuften und Sitten nach der Welt- und fleischlichgesinnten Gewohnheit einer mit gutem Gewissen nicht rechten könne. Ich habe einmal von einem vornehmen und gelehrten Rechtskundigen gehört, daß er mit großem Ernst sagte, es wäre, leider! heutiges Tags mit dem Rechten dahin gekommen, daß, wenn er tausend Reichsthaler zu fordern hätte, und er sollte sie seinem Gegner mit Rechtsstreit oberhalten, so wollte er lieber hundert dafür nehmen und den Streit fahren lassen. Ein anderer spricht: Ein rechtschaffner Mann soll zu keinem Recht kommen, als mit langsamen Tritten, und mit Adlerflügeln davon eilen; es ist besser einen magern Vertrag, als eine fette Sentenz zu erwarten. Zu beklagen ist es, daß wegen der menschlichen Bosheit das Zanken und Rechten so sehr überhand nimmt. Ich finde, daß ein hoher Potentat selbst es bedauert, daß im kaiserlichen Hofgerichte alle Sachen sich übermaßen sehr häuften, daß fast alle Wochen fünfzig neue Sachen und mehr einkommen. Man möchte wegen des vielfältigen Gezänks sagen, die heutige Welt sei einem verwilderten Acker gleich, der allenthalben mit Disteln, Dornhecken und Klettenbüschen verwachsen ist, oder dem wüthenden und wallenden Meer, da eine Welle über die andere schlägt und alles sauset und brauset. Die unendlichen Rechtshändel und deren listiges Umtreiben sind nach eines klugen Mannes Ausspruch ein rechter Schandfleck des Christenthums, sintemal die Mohren und Mahomedaner ohne alle Weitläuftigkeit und Bitterkeit ihre Streitigkeiten können in einer Stunde schlichten und beilegen, darüber wir viel Jahre oft zubringen und unser Herz in Bitterkeit und Galle vertiefen und verzehren. Summa, da viel Rechtens ist, das ist eine gewisse Anzeige, daß da nicht viel Christen sind, wie obgemeldeter Theologus abermal redet. Bei den Juden war, wie bekannt, gebräuchlich, daß die Gerichte in den Thoren der Stadt gehegt und gehalten wurden. Die Ursache nach der Gelehrten Urtheil war diese, daß nicht allein jedermann, der aus- und einging, möchte zuhören, weil die Richter ihres Ausspruchs keine Scheu hatten, sondern auch, daß sie die innerliche Uneinigkeit gleichsam aus der Stadt verweisen und zum Thor hinaus, die äußerliche aber, (oder die sich von außen ereignete,) im Thor aufhalten und zurückweisen und also ihrer Stadt Einwohner in Liebe und Friede erhalten möchten. So sollte es billig in der Stadt Gottes sein. Es müßte in allen Thoren angeschrieben stehen: Ist jemand unter euch, der Lust zu zanken hat, der wisse, daß wir solche Weise nicht haben, die Gemeine Gottes auch nicht. 1. Cor. 11, 16. Ach, wie kann die Gemeine Lust zu zanken haben, welche auf Liebe gegründet, in Liebe verbunden und zur Liebe berufen ist? Ach, wenn wir Christen allezeit wollten bedenken das artige Sinnbild der Niederländer, welches sie im Jahr 1588 auf eine Münze haben lassen prägen, nämlich zween Töpfe auf dem Wasser schwimmend mit der Beischrift: Zusammen stoßen ist zerstoßen. Was mich betrifft, will ich stets vor Augen haben die Worte des h. Apostels: Es ist schon ein Fehl unter euch, daß ihr mit einander rechtet. Warum lasset ihr euch nicht viel lieber Unrecht thun? Warum lasset ihr euch nicht viel lieber übervortheilen? 1. Cor. 6, 7. Ich habe eine Rechtssache vor dem höchsten Richterstuhl, die mir so viel zu thun macht, daß ich alles andern Rechtens gerne vergesse; die Sache betrifft meine Sündenschuld, mein Ankläger ist der Satan, sein Sachwalter mein Gewissen; Zeugen bedarfs nicht, weil der Beklagte die Schuld gesteht; mein Fürsprecher und Advokat ist Jesus, der Gekreuzigte, der nicht allein mit seinem Munde, sondern auch mit seinem Blut und Wunden für mich redet; mein Richter ist mein Vater, der barmherzige und gnädige Gott, mein Freund und Beistand der H. Geist; wie kann ich anders, als ein gewünschtes Urtheil bekommen?
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