Die Puls- oder Schlagader

Als man von der Puls- oder der Schlagader redend ward, sagte ein Gelehrter, er hätte neulich gelesen, daß, nach Kardans Meinung die Ader in einer Stunde 4000 Schläge thäte, wiewohl neulich ein anderer berühmter Schriftsteller die Zahl der Schläge bis auf 4850 erhöht hätte. Gotthold sagte hierauf: Der menschliche Leib ist von seinem Schöpfer wie eine Uhr eingerichtet, darinnen aus einem innerlichen, lebendigen Trieb ein stetiges Regen und Bewegen sich findet; wie nun eine Uhr eine gewisse Anzahl Schläge thut in einer Stunde und dann die Stunde mit dem Glockenschall meldet, so hat auch unsere Pulsader nicht allein ihre von Gott bestimmte Anzahl, wie vielmal sie in einer Stunde schlagen soll, sondern auch im ganzen Leben. Es wird die Zeit endlich kommen, da unser Herz sammt den Adern wird erliegen und stille werden, darum lasset uns Gott bitten, daß er uns lehre unsere Tage also zählen, daß wir klug werden, Ps. 90, 12., und mit jenem gottseligen Mann seufzen: Ach, Herr Jesu! mein Leib hat seine schlagenden Adern, meine Seele auch, ihre Seufzer nämlich und ihr Sehnen nach dir; verleihe mir, wenn der Puls des Leibes stille wird, daß mein letzter Seufzer stark an die Himmelsthür schlage, damit meine Seele eingelassen und aufgenommen werde. Hiebei fiel ihm weiter zu, was ein großer Lehrer unserer Kirche (Luther) von dem Puls geschrieben: „Wo ein Christ ist,“ spricht er, „da ist eigentlich der H. Geist, der da nichts anderes thut, denn immerdar beten, denn ob er gleich nicht immerdar den Mund regt oder Worte macht, dennoch geht oder schlägt das Herz (gleichwie die Pulsadern und das Herz im Leibe) ohne Unterlaß mit solchem Seufzen: ach, lieber Vater! daß doch dein Name geheiligt werde, dein Reich komme, dein Wille geschehe. Und darnach die Püffe oder Anfechtung und Noth härter drücken und treiben, darnach geht solch Seufzen und Bitten desto stärker auch mündlich, daß man keinen Christen kann finden ohne Beten, so wenig als einen lebendigen Menschen ohne den Puls, welcher nimmer stille steht, regt und schlägt immerdar für sich, obgleich der Mensch schläft und anders thut, daß er sein nicht gewahr wird.“ Hieraus kann erklärt werden, was die Schrift sagt, daß wir allezeit und ohne Unterlaß beten sollen. Luc. 18, 1. 1. Thessal. 5, 17. Und hiemit stimmen ein die Gedanken eines guten Mannes, welcher mit Gott bedingt, daß, wenn sein Puls schlägt, es nach seiner Seele heiligem Verlangen und Vorsatz so viel sein sollte, als wenn die Ader nicht allein das Schlagen, sondern auch eine Stimme hätte und sagte: Heilig! heilig! heilig ist Gott! Jes. 6, 3. Wohin auch in einem Abendlied gezielt wird, wenn das christliche Herz seufzt:

So oft die Nacht mein Ader schlägt,
Soll dich (Herr Jesu!) mein Geist umfangen; 
So vielmal sich mein Herz bewegt, 
Soll dies sein mein Verlangen, 
Daß ich mit lautem Schall 
Möcht rufen überall: 
Ach Jesu! Jesu! du bist mein,
Und ich auch bin und bleibe dein.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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