Die Pillen
Ein Kranker sollte auf Verordnung des Arztes Pillen einnehmen, der sich aber gar seltsam zum Handel schickte, maßen er denn die erste lauge im Munde herumwälzte, so daß sie fast ganz zermalmt ihm Bitterkeit genug verursachte; der Arzt sagte, das sollte er nicht thun; hie gilts nicht kauen und schmecken, sondern nur verschlucken; und wie endlich der Patient sie mit Mühe hatte hinunter gebracht, gab er ihm etliche eingemachte Citronenrinden hernach, auf daß bei dem Aufstoßen des schwachen Magens ihm nicht der Arzneigeschmack wieder in den Mund kommen und zum Uebergeben eine Ursache sein möchte. Darüber machte sich Gotthold diese Gedanken: die Scheltworte eines schmähsüchtigen und feindseligen Menschen sind sehr bittere Pillen und ist nicht jedermanns Ding, dieselben ungekaut zu verschlucken; sie sind aber einem gottseligen Christen sehr dienlich, maßen sie denn ihn entweder seiner Schuld erinnern, oder seine Geduld und Sanftmuth bewähren, oder ihm zeigen, wovor er sich zu hüten habe, und endlich bei Gott, um dessen willen sie mit Geduld erlitten werden, ihm zur Ehre und zum Ruhm gedeihen. Hier wills aber nicht rathsam sein, daß einer die Schmähpillen in seinen Gedanken stets hin und her wälze und nach seines Fleisches und der Welt Dünken sie achte. Denn so werden sie nur immer bitterer und füllen die Zunge und das Herz mit gleichmäßiger feindlicher Bitterkeit. Verschlucken, verschweigen und vergessen ist das Beste. Man muß sein Leid in sich fressen und sagen: Ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, du mein Gott! wirsts wohl machen. Ps. 39, 10. Hingegen muß man sich wider die Bitterkeit bedienen der lieblichen Trostsprüche der Schrift, deren nicht der geringste ist: Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen, und reden allerlei Uebels von euch, so sie daran lügen; seid fröhlich und getrost, es soll euch im Himmel wohl belohnt werden! Matth. 5, 11. 12. Ach, mein Gott! wie schwer ists, die Schmachpillen verschlucken, segnen, die mir fluchen, wohl thun denen, die mich hassen, bitten für die, so mich beleidigen! Herr! du willst es so haben, so gieb es, wie du es haben willst, denn ohne dich kann ich hierin nichts thun.
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