Die Nuss

Gotthold sah einem Knaben zu, der in der Rechenkunst unterwiesen ward, und sagte: Ob man zwar hier vielfältige Veranlassung hat zu guten Gedanken, so will ich doch für diesesmal nur die Null erwählen. Ich finde, daß ein weltweiser Mann in seinem Letzten liegend von seinen Freunden ersucht worden, daß er ihnen ein Gedächtnis, hinterlassen möchte; als er nun nicht mehr reden konnte, ward ihm Dinte und Feder gereicht, und machte er damit aufs Papier zween Kreise oder Nullen. Nach seinem Absterben gab es viel Nachsinnens bei den Hinterbliebenen, was hiedurch möchte gemeint sein, und hielten die meisten dafür, daß er hätte hiemit andeuten wollen, Leib und Seele hätten ihren Kreislauf und Zeit, wenn sie dieselbe vollendet, so komme ein jedes wieder zu seinem Ursprung, der Leib zur Erde und die Seele zu Gott. Pred. 12, 7. Ich wollte meinen, er hätte zwei Nullen gemacht, die Eitelkeit aller weltlichen Dinge vorzubilden; wie denn der allerweiseste König in aller Welt Wissenschaft, Lust, Freude, Ehre, Reichthum und Herrlichkeit nichts, als Mühe und Eitelkeit hat finden können. Pred. 2, 3. 11. Der Welt Herrlichkeit ist wie die Raketen, damit sie sich zu belustigen pflegt bei ihren größten Solennitäten (Festlichkeiten), aus deren hellerleuchtender, hochsteigender Flamme nichts wird, als Asche; der Welt Bemühung und Unruhe ist wie die Raserei des unmenschlichen Kaisers Caligula, der einmal seine Armee am Ufer des Meers in Schlachtordnung stellen und mit Geschütz und Rüstung versehen ließ; als nun jedermann mit Verlangen erwartete, was denn endlich, weil kein Feind vorhanden war, aus diesem Spiel werden würde, hieß er sie sämmtlich Schneckenhäuserlein, die am Meeresstrand häufig lagen, sammeln und ihre Sturmhauben und Kleider damit füllen. So läuft die Welt, so kriegt, rechtet, zankt, sammelt sie, und wenn sie viel gesammelt hat, so ist es eben so viel werth, als dieser Meerraub. Doch, daß ich wieder zu meiner Null komme; alles, was in der Welt ist, vergleicht man billig einem ,Zettel, daraus eine ganze Reihe solcher Nullen geschrieben, da eine so viel gilt, als die andere, da sie allesammt endlich nichts machen. Ihr hochgelehrten Weltkinder, was ist eure Wissenschaft? Ein wohlriechender Dampf, daran ihr euch selbst nebst andern belustigt, der doch bald verschwindet. Ihr Hochweisen, was ist eure Klugheit? Ein Spinnengeweb, welches zwar sehr subtil und mühsam, doch zu nichts nütz ist, als Mücken zu fangen. Ihr Hochgeehrten, was ist eure Würde? Ein Schatten um die Abendzeit; je größer, je näher dem Vergehen. Ihr Reichen, was ist euer Ueberfluß? Eine Rose mit vielen Dornen; die Rose verwelkt bald, die Dornen bleiben. Ihr Wollüstigen, was ist eure Freude? Ein süßer Traum, davon einer nichts hat, wenn er erwacht, als das Verlangen. So heißt es nun in der Christen Rechenkunst: Null von Null bleibt nichts. Die Welt hat nichts, giebt nichts, ist nichts. Doch wissen die Kinder Gottes eine Kunst, daß sie aus nichts etwas können machen. Wenn ich viel Nullen habe, die sonst nichts gelten und setze eine Ziffer davor, so machen sie viel tausend. Also, wenn ich alle Welt hätte ohne Gottes Gnade in Jesu Christo, so hülfe es mir nicht; wenn ich aber den weltlichen Dingen meinen Jesum voransetze, ich will sagen, wenn ich sie als ein Lehngut von der Hand meines Erlösers in Demuth annehme und alles zu seinen Ehren im Glauben und in der Liebe gebrauche, so mögen sie noch etwas gelten und können die Ehre haben in Gottes Register und Tagebuch zu kommen. Herr Jesu! außer dir ist alles nichts. In dir ist nichts alles. Reichthum ist nichts, wo er nicht deiner Armuth dient; die höchste Würde ist nichts, wo sie nicht ihre Ehre in deiner Schmach und Dornenkrone sucht; die Weisheit ist nichts, die von dir nichts weiß; die Wollust ist nichts, die durch dein Kreuz nicht gemäßigt und geheiligt wird. Summa: Welt ist Welt und nichts, Jesus ist Jesus und alles.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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