Die Narrheit des Christen
Unter Afrikas glühender Sonne arbeiteten einst in jenen traurigen Zeiten, wo die Sklaverei noch nicht verboten war, eine Anzahl Sklaven. Die Arbeit war schwer und der Aufseher, der die Peitsche in der Hand trug, war durch lange Gewohnheit sehr hart geworden. Es lag ihm mehr daran, seinem Herrn zu gefallen und die Arbeit schnell vorwärts zu schaffen, als ein Sklavenleben zu schonen. Die Schwachen und Alten waren ihm daher meist nur ein Gegenstand des Ärgers, und sie bekamen oft seine Peitsche zu fühlen.
Unter den Sklaven war einer, der sich durch Kraft und Geschicklichkeit auszeichnete und dabei voll wunderbarer Sanftmut und Gelassenheit war. Kein Fluch, kein rohes Wort kam jemals über des großen Mannes Lippen, wohl aber beobachtete der Aufseher mit Staunen, wie er gegen den alten, kränklichen, verdrießlichen Tom von einer besonderen Freundlichkeit und Aufmerksamkeit war. Auf den langen Märschen trug er des alten Mannes Lasten mit auf seinen Schultern, in den Ruhepausen machte er ihm einen Platz zurecht, so bequem es nur eben ging.
"Achmed," rief eines Tages der Aufseher ärgerlich, "lass den alten Narren, was mühst du dich um ihn? Er dankt dir's ja doch nicht."
"Ich weiß, Herr," sprach Achmed ruhig.
"Was plagt dich denn? Bist du ihm einen Dank schuldig? Was kann der mürrische Tölpel dir Gutes getan haben? Ist er etwa dein Vater?"
"Er ist mein Feind gewesen mein Leben lang. Seine Schuld ist es, dass ich ein Sklave wurde."
Einen Augenblick starrte der Aufseher den großen Achmed an. "Du bist ein Narr," sagte er dann.
Achmed lächelte: "Ich bin ein Christ, Herr."
"Was hat das mit dem alten Tom zu tun?" Die Stimme des sonst so harten Mannes klang unsicher, wie von innerer Erregung.
"Sehr viel, Herr, denn Christen lieben ihre Feinde."
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