Die Nachteule
Als Gotthold in einer Nacht nicht schlafen konnte, wollte er die Zeit mit unnützen Sorgen und Gedanken nicht zubringen, sondern nahm sein Feuerzeug, das er auf solchen Fall stets bei seinem Bette hatte, zündete vermittelst desselben ein Licht an und fing an in der Bibel zu lesen, oder, wie jener wohl gesagt, dem Herrn, der in der h. Schrift redet, zuzuhören. Als nun eine Nachteule, die sich in der Nähe aufhielt, des Scheins vom Licht inne ward, flog sie näher heran und schrie ihrer Art nach. Gotthold gedachte bei sich selber: man hält gemeiniglich diesen Vogel für einen Unglücksund Todesboten und ist ihm mancher herzlich gram und weiß ihm seines Nachtgesanges halber wenig Dank. Ob ich nun wohl den gemeinen Aberglauben nicht gut heiße, so laß ich mir doch nicht zuwider sein, daß mich dieser Vogel meiner Sterblichkeit erinnert; er kann mir eben das sein, was jenem heidnischen Könige sein bestellter Kammerpage, der ihm alle Morgen mußte zurufen: Gedenk, daß du ein sterblicher Mensch bist! Ich wünsche mir und suche auch der Dinge mehr, die mich so nachts, als tags auf Todesgedanken bringen, wohl wissend, daß zur Gottseligkeit, Verschmähung der Welt und Verlangen nach dem Himmel nichts zuträglicher ist, als eben dieses. Ich will mit dem Tode gute Kundschaft und Freundschaft machen und unterhalten, daß ich, seines ernsten Anblicks gewohnt, ihn desto freudiger willkommen heiße, wenn ihn mein Gott sendet, mich aus der Welt abzufordern. Mancher hat ein ernstes Gesicht, ist hager und mager, blaß und gelb, in Kleidung schlecht und von geringem Ansehen, verdeckt jedennoch oft viel Kunst und Tugend darunter. So geht es mit dem Tode zu. Ach, wie viel Gutes, wie viel Süßigkeit und Seligkeit ist unter seinem sauern Anblick und flüchtigen Bitterkeit verborgen! Ich sterbe nicht, wenn ich sterbe, sondern meine Sünde und mein Elend. So oft ich an den Tod gedenke, bild ich mir ein, daß ich sehe einen Boten von ferne kommen, der mir gute Zeitung bringt von meinem Erlöser und Bräutigam meiner Seele und von der Erbschaft, die er mir mit seinem Blute erworben und im Himmel beigelegt hat. Was frage ich darnach, daß der Bote häßlich aussieht, einen langen Spieß trägt, einen zerrißnen Rock anhat und mit Ungestüm anpocht? Ich sehe nicht so sehr auf seine Gestalt, als sein Gewerbe. Mein getreuer Erlöser! es sollte mir nicht zuwider sein, wenn alle Vögel mir von meiner Sterblichkeit täglich und stündlich sängen und predigten. Die Süßigkeit, so ich aus deinen bluttriefenden Wunden sauge, verschlingt die wenigen bittern Tropfen, so mir der Tod zum Valettrunk in der Welt einschenkt. Was sollt ich lieber wünschen, als abzuscheiden und bei dir, mein Herr Jesu! zu sein?
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