Die Mücke
Als Gotthold nebst etlichen guten Freunden sich zur Abendzeit unter einen schattigen Baum hatte niedergesetzt, hatten sie von den Mücken große Beschwerde und konnten derselben mit etlichen abgebrochenen Zweigen und Laubbüscheln sich kaum erwehren. Darauf sagte einer: Wenn alles, was Gott geschaffen, seinen Nutzen hat, möchte ich wol wissen, wozu dieses unnütze schlimme Geschmeiß dient, welches dem Menschen nichts, als Unlust verursacht. Gotthold sagte: Eben dieses ist schon ein Nutzen, daß euch eine Mücke Beschwerde macht und mit einem jeden Stich euch des Sündenfalls erinnert; überdies seht ihr jetzt, daß keine Lust ohne Unlust in der Welt ist, maßen unter diesem schönen Baum, auf diesem lustigen Anger, bei dieser freundlichen und fröhlichen Zusammenkunft uns die Mücken müssen beschwerlich sein und uns erinnern, daß wir keine beständige und tüchtige Lust in der Welt suchen, viel weniger das Herz daran hängen sollen. Und wenn euch dieses ein Geringes dünket, so sage ich, daß an einer Mücke der Schöpfer aller Dinge so viel Kunst erwiesen hat, daß die gelehrtesten Leute der Welt darüber erstaunen und nicht wissen, was sie dazu sagen sollen. Sagt mir, wie wohnt in einem so geringen und kleinen Leibe eine wirkende, lebendige und nach ihrem Maß kluge Seele? Wie regiert und bewegt sie diese geringen Fittige und diese schwachen Beinlein? Wie ist der Stachel so stark und hart, daß er die zähe dicke Haut der Menschen und anderer Thiere durchbohren kann, und ist doch so hohl und eine feine Röhre, dadurch sie das Blut kann an sich ziehen? Woher hat sie die Kraft zu saugen? Woher die starke Stimme, als posaunte sie? Wie kommt’s, daß sie so vorsichtig und behutsam ist, und so oft zu fliehen, bald aber wieder zu kommen und einen sichern Ort an einem Thier zu suchen weiß, da sie ihre Nahrung erheben möge? Weil sie auch vor einem bittern Geruch flieht, Lieber, wo ist ihre Nase, damit sie solchen unangenehmen Geruch empfindet? Und am Ende, wo ist die Stelle ihrer Geburt? Wie und wo wird eine solche Menge erzeugt? Was macht sie in der Luft so fröhlich webern und spielen, vornehmlich, wenn beständiges gutes Wetter vorhanden ist? Lieber, wißt ihr das? Wißt ihr nichts, ei so erkennet, daß die Mücke, das verachtete Würmlein, das gemeine unlustige Geschmeiß dazu dient, daß sie euch eurer Unwissenheit überzeuge und euch eine Lehre gebe, daß ihr nicht eher in hohen geistlichen und göttlichen Dingen allzu klug seid, bis ihr ihre Natur zuerst erforscht und alles, was an ihr betrachtenswerth, ersonnen habt. Ach, alberne Menschenkinder! ihr thörichten Himmelsteiger, bleibt doch nur an der Erde, auf welcher, wenn ihr ja viel wissen und ergrübeln wollt, mehr zu lernen ist, als ihr euer Leben lang auslernen könnt! Mein Gott, wie unerforschlich ist deine Weisheit! wie unbegreiflich ist deine Kraft! Ich schäme mich, daß ich mich oft für klug und weise gehalten habe, da meine Weisheit noch nicht eine Mücke hat durchforschen können. Ich will künftig nicht mehr weise sein, sondern du allein sollst den Ruhm der Weisheit behalten, und deine Weisheit soll meine Thorheit regieren.
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