Die mancherlei Arbeit

Gotthold ging gegen Abend, als seine Augen vom Studieren ziemlich müde geworden, an einem schiffreichen Strom, der an seiner Stadt vorbei eilt, spazieren und ward gewahr, daß es allda viel zu thun gab; etliche Zimmerleute arbeiteten am Ufer, etliche Fischer, die er von ferne an einem Werder (oder kleinen Insel im Strom) sah, fischten, einer stand halb nackend bis an den Leib im Wasser, andere saßen unsern von ihm in Kähnen und Böten und angelten, ein Schiff kam gegen den Strom herauf, und ob wohl das Segel war aufgezogen, welches auch der Wind ziemlich füllte und antrieb, hatten doch 10 Schiffsknechte genug zu thun, daß sie mit Schieben das Schiff wider den Fall des Wassers erhielten und aufbrachten; ein ander Schiff lag am Ufer, welches mit Korn gefüllt ward, bei welchem auch viele Personen in der Arbeit begriffen, daß sie schwitzten. Ach! dachte er bei sich selbst, wie ernst ist es doch den Menschenkindern, und wie sauer lassen sie sich es werden, daß sie ihrem dürftigen Leibe Unterhalt schassen, und was sie zu diesem vergänglichen Leben benöthigt sind, erwerben; warum thun sie nicht dergleichen in den Dingen, die ihre Seele und die Ewigkeit betreffen? Hier sehe ich niemand, dem es nicht ernst wäre; allein in Sachen, die Seele angehend, kann ich mir nicht einbilden, daß es den meisten Menschen ernst ist, wenn ich sehe, daß sie sich so seltsam zum Handel schicken. Wenn diese Schiffsleute sagten, sie wären gerne mit ihrem Schiff gegen den Strom hinan und zu Hause, wollten aber keine Segel aufziehen und sich um gar nichts bemühen, als daß sie etwa ein wenig im Wasser ruderten und sich hernach auf Saufen und Schlafen legten, wer wollte sagen, daß es ihnen ernst wäre? Wenn ein Wandersmann oder Bote sagte, er müßte in kurzer Zeit in einer ziemlich entfernten Stadt sein bei Verlust einer großen Summe Geldes, bliebe aber unter allen grünen Bäumen und vor allen Schenken sitzen, suchte Gesellschaft und allerlei Nebenwege, hielte einen Ständerling mit allen, so ihm begegneten, wer wollte glauben, daß es ihm ernst wäre? Und wer will denn dafür halten, daß es unsern heutigen Christen ein Ernst sei, daß sie in den Himmel kommen und selig werden wollen, da sie an nichts weniger, als an den Himmel gedenken, sich nichts darum bemühen, in der Welt Händeln sich so gar verwickeln und vertiefen, ja ganz einen widrigen Abweg wandeln? Gott hat uns vergönnt, sechs Tage in ! er Woche unser Brod nach seinem Befehl im Schweiß unsers Angesichts zu suchen, doch hat er gewollt, daß wir mitten in der Arbeit an den Ruhetag des Herrn gedenken und an demselben die Uebung der Gottseligkeit mit allem Fleiß und großem Ernst treiben sollten. Er hat die Geschäfte dieser Welt mit seinem Ruhetag unterbrochen und den Gedanken von der Eitelkeit die von der Ewigkeit einschalten wollen, damit wir auf Erden des Himmels und um des Leibes willen der Seele nicht vergessen möchten. Allein wir meinen m Sonntage, wenn wir eine Predigt mit kalter Andacht und ohne einiges heiliges Verlangen der Besserung und Erbauung gehört, so müssen wir spielen, saufen und die heilige Zeit unheilig hinbringen. Sollte es denn wol Ernst sein, daß wir sagen: ich hoffe selig zu werden? Ach wie herzlich, wie eifrig, wie gewaltig redet doch der Geist Gottes von dem Werke des Glaubens und der Seligkeit: Das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalt thun, reißen es zu sich. Matth. 11, 12. Ringet darnach, daß ihr eingehet durch die enge Pforte. Luc. 13, 24. Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Phil. 2, 12. Als wir denn nun Zeit haben, so lasset uns Gutes thun. Gal. 6, 10. Du Gottes Mensch, jage nach der Gerechtigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmuth, kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben. 1. Tim. 6, 11. 12. Dies achten aber die wenigsten, und kann ich mit der Wahrheit sagen: so lange ich in der Welt bin, hab ich kein Werk schläfriger und mit geringerm Ernst sehen treiben, als das Werk der Seligkeit. Wir studieren und disputieren mit Ernst und Eifer, wir rechten und zanken mit Eifer, wir jagen, wir handeln und wandeln, wir bauen, ja wir spielen mit Eifer; wenns aber zur geistlichen Arbeit, zur Betrachtung des h. Wortes Gottes, zum Gebet, zum Glauben, zum Lieben, zum Leiden kommt, da wird man wenig rechtschaffnen und gottseligen Eifers und Ernstes verspüren. Ach, mein Herr Jesu! ich bekenne gern, daß ich bisher selbst nicht solchen Ernst gebraucht, als es eine so hoch angelegne Sache erfordert. Ermuntere mich im Geist, und gieb mir nur solchen unermüdeten Fleiß und Eifer im Geistlichen, als ein geiziges Weltkind hat im Zeitlichen!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
© Alle Rechte vorbehalten