Die Leuchte

Als Gotthold nebst andern mit einem vornehmen Freunde das Nachtessen hatte eingenommen, und sie, eine Leuchte oder Laterne vor sich habend, nach Hause gingen, sagte er: Weß wollen wir uns bei der Leuchte, die wir zur Wegleiterin haben, zur Besserung erinnern? Einer antwortete: Dessen, was David sagt, Ps. 119, 105.: Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege. Das Wort Gottes ist ein hellscheinendes Licht und leuchtet in diesen letzten finstern Zeiten auf allen unsern Wegen, aber ach! wie wenig sind, die diesem Licht folgen! Was hilfts, wenn wir uns des hellen Lichts des Evangelii rühmen und doch die Finsterniß mehr lieben, als das Licht? Was hilfts dem Maulwurf, daß die Sonne helle scheint im Mittag, da er immerhin in der finstern Erde wühlt und arbeitet? Ich erinnere mich, daß im Jahr Christi 1611 auf einer berühmten deutschen hohen Schule ein Student sich aufgehalten, der seines vielfältigen Stehlens halber endlich an den Galgen gerathen; dieser hat unter andern schlauen Fündlein, seine finstern Diebshändel zu verbergen, ein Licht gebraucht. Wie aber? Er stellte ein ganzes Licht auf einen Leuchter und setzte es auf den Tisch in seiner Stube und ließ es etliche Stunden in die Nacht brennen; weil nun die Stube an der Gasse war, meinten die Leute, dieser ehrbare Student wäre so emsig bei den Büchern, daß er auch bis Mitternacht und länger sich des Schlafs enthielte, der doch eben dann im Finster n mausen ging. Was half nun diesem Nachtvogel das brennende und scheinende Licht, da er den Werken der Finsterniß nachging? Und was will es uns helfen, daß wir das helle Licht des Evangelii in vollem Glanz scheinend haben, da doch niemand fast solchem Licht folgen und wie ein Kind des Lichts wandeln will? Ein anderer that hinzu: Ich gedenke hiebei an Hiobs Worte, 29,3.: Seine Leuchte war über meinem Haupte und ich ging bei seinem (Gottes) Licht in der Finsterniß. Ohne Zweifel nennt er Gottes Gnade und Güte, seinen Segen, väterliche Fürsorge und Regierung die Leuchte und das Licht Gottes, und man könnte also nicht unfüglich sagen, Gott selbst habe sich so tief herunter gelassen, daß er der Menschenkinder Leuchtenträger sei, wie er denn auch Ps. 32, 8. gar tröstlich sagt: Ich will dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst, ich will dich mit meinen Augen leiten. „O wie ist es eine so große und sonderliche Gnade Gottes, daß er die, so ihm vertrauen und fürchten, mit seinem H. Geist regiert, giebt ihnen guten Rath und Vorsichtigkeit ins Herz, lenkt ihre Anschläge zu allem Guten, erhört ihr Gebet, behütet sie vor schändlichen und thörichten Anschlägen, vor Sicherheit, vor Irrthum im Glauben, vor Schande und Sünde. O wie wohl ist der geleitet, welchen Gott leitet! Wie kann der verführt werden, welchen Gott führt?“ (Tauler.) Gotthold fuhr fort: Ich habe eure Gedanken mit Lust gehört und bitte Gott, daß er uns durch sein h. Wort und göttliche gnädige Vorsehung allezeit führen und uns die Gnade geben wolle, daß wir seinem Licht fröhlich und getrost folgen mögen. Ich will aber, was mir beigefallen, hier beifügen: Jesus Christus ist das Licht des Lebens, ein jeder Christ ist eine Leuchte, welche solches Licht erleuchten muß, die Leuchte kann zierlich und an der Kunst und Arbeit kostbar sein, allein leuchten in Finsterniß kann sie nicht ohne das Licht. Ein Mensch kann wol schöne, natürliche Gaben haben, kann reich, kann mächtig, kann hoch erhaben sein, doch aber ist er außer Christo nichts nütze und er ist vor Gott nichts geachtet! Sein natürliches Licht mag in der Finsterniß der Anfechtung und des Todes weder ihm, noch andern dienen. Darum lasset uns Gott bitten, daß er uns zu Leuchten mache, in welchen und aus welchen der Herr Jesus leuchte, ihm zu Ehren und unserm Nächsten zu Dienst. Herr Jesu! sei du meines Herzens Licht und laß deine Liebe, Sanftmuth, Demuth, Freundlichkeit, Keuschheit, Mildigkeit und Wahrheit in allem meinem Wandel leuchten!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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