Die Kunstkammer

Man ward in einer vornehmen Gesellschaft von eines großen Herrn Kunstkammer redend, und weil ein paar Personen zugegen, so selbige gesehen, berichteten sie von allerlei kostbaren Sachen, die theils wegen der Kunst und menschlichen Fleißes, so darauf gewandt, theils wegen der Rarität (Seltenheit), und daß sie sonderliche Wunder der Natur, theils wegen des großen Werths gar hoch geschätzt wurden. Gotthold sagte: Ich habe mir erzählen lassen, daß, als ein berühmter Geistlicher und gottseliger Mann eine dergleichen Schatz- und Kunstkammer nebst andern besichtigt, er im Herausgehen seine Gefährten gefragt, welches unter allen kostbaren Dingen in diesem Gemach das Allerköstlichste und Beste gewesen. Als sie nun einmüthiglich nach der Aussage des Schatzmeisters, der ihnen diese Herrlichkeit gezeigt, auf ein köstliches Kleinod, welches mit vielen großen orientalischen Diamanten geziert gewesen, gestimmt, spricht er: Ich sehe wohl, daß ihr euch selbst noch nicht zu schätzen wisset; euer Erlöser legt die menschliche Seele gegen die ganze Welt in die Wage und findet selbige viel theurer und kostbarer, als diese, sagend: Was hilfts einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Matth. 16, 26. Alles, was wir in diesem Schatz gesehen haben, kann mit Gold oder Silber bezahlt werden, die Seele aber ist zu theuer dazu, darum hat das theure Blut Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes, darauf müssen verwandt werden. 1. Petr. 1, 18. Alles, was hierinnen ist, das ist vergänglich und der Eitelkeit unterworfen, allein die Seele ist unsterblich, darum wir unsere Seelen billig für das allerkostbarste Kleinod, so heute in dieser Kunstkammer gewesen, achten sollen. Hiebei, fuhr er fort, fällt mir zu, was von Kaiser Otto dem Dritten berichtet wird, daß, als er in Wälschland einen Mönch, Nilus genannt, der damals wegen seiner Frömmigkeit und heiligen Lebens in großem Ruf war, besucht und allerlei Erbauliches als ein christlicher Herr mit ihm geredet, er beim Abschied ihn genöthigt, daß er etwas von ihm bitten sollte. Der fromme Mönch bedenkt sich nicht lange, sondern tritt zum Kaiser näher hinan, legt ihm die Hand auf die Brust und spricht: Nichts kann mir Ew. Majestät Angenehmeres erweisen, als wenn sie ihre Seele, die in diesem Leibe wohnt, eifrigst in Acht nehmen wird, daß sie nicht verloren werde. Denn obwohl Ew. Majestät zur kaiserlichen Hoheit erhoben ist, so muß sie doch sterben wie ein anderer Mensch und vor Gottes Richterstuhl zur Rechnung ihres ganzen Lebens erscheinen; darauf dem Kaiser die Augen übergegangen. Ich bitte dergleichen von euch, thut, was ihr thut, nehmet das theure Kleinod, eure unsterbliche und mit Jesu Christi theurem Gottesblut erkaufte Seele wohl in Acht; wo ihr die solltet durch Unbußfertigkeit und Sicherheit verlieren, so kann euch kein Gewinn helfen, und wenn euch alle Kronen, Scepter und Schätze der ganzen Welt geschenkt würden! Man hat heutiges Tages Mittel gefunden, in den schiffreichen Strömen, ja in dem wilden Meer das Verlorne wieder zu suchen und aufzufischen, allein wer ist es, der eine verlorne Seele aus der tiefen Hölle könnte wieder hervor bringen? Ach! fing einer von der Gesellschaft an, in unserer Aufsicht und Hut ist dies Kleinod gar zu übel verwahrt, hiebei muß der Hüter Israels, der nicht schläft oder schlummert, Ps. 121, 4., das Beste thun. Gotthold antwortete: Wahr ists, wir sind wie die Kinder, denen ein Pater Noster, wie mans nennt, oder eine Schnur voll Schaupfennige um den Hals gehangen ist, die selbige sich oft lassen abschwatzen und sie gegen einen Apfel vertauschen. Doch müssen wir nicht Kinder bleiben, sondern Gott täglich bitten, daß er uns je mehr und mehr erleuchten, mit seinem H. Geist regieren und wachsam und vorsichtig machen, insonderheit, daß er selbst dieses theuren Kleinods, so ihm so viel kostet, Hüter sein und es sich aus seiner Hand nicht reißen lassen wolle. Herr Jesu, du Erzhirt und Bischof meiner Seele! du weißt am besten, wie viel eine Seele werth ist. Dies ist kein Kleinod für einen Menschen, sondern allein für dich, darum soll meine Seele nicht mein, sondern dein Kleinod und theuer erkauftes Gut heißen. Du wirst denn, was dein ist, wohl wissen zu bewahren, daß es dir kein Teufel nehme.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
© Alle Rechte vorbehalten