Die Kunst des Verzeihens verlernt
In einer Moskauer Zeitung von 1989 waren einige Gedanken des sowjetischen Schriftstellers Granin zu lesen über das Verhältnis zwischen dem deutschen und russischen Volk nach den leidvollen Erfahrungen beider Völker im Zweiten Weltkrieg. Granin schreibt in diesem Aufsatz Folgendes: "Wir müssen nicht vergessen, sondern verzeihen, obwohl die Moral des Verzeihens uns sehr schwer fällt. Wir Menschen ohne Religion haben die Kunst des Verzeihens verlernt, ohne die ein Leben unmöglich ist."
Diese interessante Aussage eines atheistischen Schriftstellers lässt erkennen, dass er einerseits zwar zwei wichtige Gegebenheiten erfasst hat, andererseits jedoch das Entscheidende noch nicht gesehen hat. Granin ist sich erstens bewusst, dass ein friedliches Nebeneinanderleben ohne Verzeihung oder Vergebung nicht möglich ist (sei es im Leben der Völker oder des Einzelnen). Zweitens macht er deutlich, dass der Mensch ohne Glauben (er benutzt das Wort Religion) zu echter Vergebung nicht fähig ist.
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