Die Kleidung
Es begegnete Gotthold, als er mit einem andern spazieren ging, ein junger Mensch nach der jetzigen Welt Art so bunt und wunderlich gekleidet, daß er sich nicht enthalten konnte, ihm, als er vorbei, nachzusehen und mit Seufzen zu sagen: Hilf, gerechter Gott! was will doch endlich aus dieser Nachsichtigkeit werden! Wie kommt’s doch immermehr, daß nunmehr die Welt ihre Ehre in der Schande und ihre Weisheit in der Thorheit sucht? Ich denke oft daran, was dorten der H. Geist von der Königin Berenice sagt: sie sei aufgezogen gekommen mit großer Phantasei. Apostelg. 25,23. Ich meine ja, die Welt zeucht jetzt daher mit großer Phantasei. Und was am meisten zu beklagen ist, niemand hält es fast für eine Sünde, daß man also sich verlarvt und dieser Welt gleich stellt. Sollte es denn, sprach der andere, um die wandelbare Kleidung so ein sündliches Wesen sein? Gotthold antwortete: Die Kleidung an sich gehört zu den Mitteldingen, die einen Menschen vor Gott weder fromm und beliebt, noch sündlich und verhaßt machen, allein das Kleid zeigt den Mann und das Herz. Meint ihr nicht, daß mancher Mensch in seinem prächtigen und nach der neusten Mode gemachten Kleide sein eigner Abgott ist? Er zieht daher voll Ueppigkeit und Uebermuths und meint, es habe niemand mehr Ansehen, als er; da kann ihm niemand den Hut zeitig genug abziehen, niemand ihn demüthig genug grüßen, wenn er schon niemanden eines recht freundlichen Wiedergrußes und Danks würdigt. Also wird der alte Mensch, welchen wir sammt seinen Lüsten und Begierden kreuzigen sollen, Gal. 5, 24., fein warm zugedeckt, köstlich angethan und als ein Götze geehrt; also wird der dürftige Nächste verachtet und verlassen, die Mittel, so uns dem Nächsten damit auszuhelfen gegeben sind, werden verschwendet, das gepredigte und angehörte Wort wird unter solchen Dornen erstickt, die Liebe zur Welt: Augenlust, Fleischeslust und hoffärtigem Leben, 1. Joh. 2, 16., gemehrt und das Aergerniß allenthalben gehäuft. Jener sagte weiter: Ich will dennoch hoffen, daß manches gottselige Herz ist, welches unter einem hoffärtigen Kleide einen demüthigen Geist verdeckt und mehr wider seinen Willen von der Welt als einem gewaltigen Strom mit fortgerissen wird, als daß es in solcher Thorheit einige Ehre oder Beliebung suchen sollte. Wohl, fuhr Gotthold fort, das werd ich nimmer leugnen; die Gottesfürchtige!! kleiden sich also, daß sie ihrer Kleidung, wenn sie die Ehren halber anziehen müssen, vergessen und nur ihrer Nichtigkeit in Demut!) sich erinnern, die Gottlosen aber so, daß sie ihrer selbst vergessen und nur an ihrer Kleidung in Hoffart sich vergaffen. Wer ein Herz hat, das im Geist sich stets dem allgewaltigen Gott zu Füßen wirft und in kindlicher demüthiger Furcht wandelt, den armen Christum mit seinem einigen Rock in seinen dürftigen Gliedern nicht verachtet und alle Stunde bereit ist, seine schönsten Kleider, wenn es Gott gefällt, mit einem geflickten Rock oder mit dem Sterbekittel zu vertauschen, der kann wol ein kostbares Kleid ohne Sünde tragen; wie aber die Weltkinder mit ihrer weitschweifigen mancherlei Phantasei durch die enge Pforte, die zum Leben führt, kommen werden, das mögen sie, wenn sie nicht anders wollen, erfahren. Mein Gott! gieb mir, weil ich lebe, Nahrung und Kleidung nach Nothdurft! Muß ich Amts- und Ehren halber etwas Uebriges tragen, so entzeuch mein Herz davon, daß es dessen nicht einmal gewahr werde. Ich bin doch nackt auf die Welt gekommen und muß nackt wieder dahin fahren. Mein bester Schmuck ist in dir, mein Herr Jesu!
Dein Blut und dein Gerechtigkeit,
Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,
Damit will ich vor Gott bestehn,
Wenn ich soll in den Himmel zehn.
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