Die Hühner
Es hatte jemand Lust halber seinen Hühnern zuweilen aus dem Stubenfenster Brodkrumen, zuweilen auch eine Hand voll Gerste vorgeworfen, dadurch sie gewöhnt waren, nicht allein, wenn das Fenster aufging, eilends heran zu fliegen und zu laufen, sondern sie standen auch mehrmals unter dasselbe und meldeten sich nach ihrer Art mit ihrem Geschrei, als wollten sie etwas erbitten. Gotthold sah dieses und sagte: Die Hühner machen es mit uns, als wir mit dem lieben Gott; denn weil er uns oft erhört und, was wir zu zeitlicher und leiblicher Nothdurft bedurften, uns gegeben, hat er uns, also zu reden, ihm auf den Leib gewöhnt, daß wir immer wiederkommen und nicht nachlassen, bis er uns wieder etwas gegeben, ob wir ihm schon nicht allemal so viel nütze sind, als uns die Hühner. Es ist nicht lange, daß eine gottselige Frau zu mir sagte: Bei meinem lieben Gott mache ich aus der Bitte eine Pflege, und halte ihm vor, daß er ja oftmals mir geholfen und meine Bitte mir gewährt, so wolle ich sie auch diesmal von ihm unversagt haben. Das ist, sagte der Andere, geredet auf die Weise des 85. Psalms, der auch vermeint, weil Gott vormals sei gnädig gewesen und vormals die Missethat vergeben hat, so müsse er nun auch trösten und von seiner Ungnade ablassen. Gotthold fuhr fort und sagte: Ich habe mich oft verwundert über die Kühnheit der Kinder Gottes, deren sie sich gegen Gott gebrauchen, und über die Güte und Freundschaft dieses allgewaltigen Herrn, der uns nicht allein beten heißt, sondern auch seine Lust daran hat, wenn wir in diesem Gespräch mit ihm recht dreist und, wenn ich so reden mag, unverschämt sind. Bedenket die Worte des königlichen Propheten: Herr, höre mein Wort, merk auf meine Rede, vernimm mein Schreien, mein König und mein Gott! Warum denn? Denn ich will vor dir beten. Ps. 5, 2. 3. Es ist eben, als wenn ein Bettler mit Ungestüm an unsere Thür klopfte und sagte: Machet auf, denn ich will betteln! Anderswo sagt er: Schüttet euer Herz vor ihm aus; Ps. 62, 9.; als wenn ein Bettler wollte alle seine Lumpen vor eines reichen Mannes Augen abwerfen und alle seine Schwären und ungestalteten Glieder ihm zeigen, der würde fürwahr die Augen abwenden und wenig Lust haben, solchen Wust zu besichtigen. Der fromme Gott aber ist so ekel nicht; wie viel Anliegen, Elend, Sünde und Schande wir auch in unserm Herzen haben, so heißt ers uns doch kühnlich ausschütten, daß er uns helfen möge. Bedenket auch des reisenden Jakobs Gelübde, 1. Mos. 28, 20. 21.: So Gott wird mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und Brod zu essen geben und Kleider anzuziehen und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der Herr mein Gott sein; gerade, als wenn ohne das Gott nicht wäre des guten Jakobs Gott gewesen und von ihm durch seine Güte und mannigfaltige Wohlthat mehr göttliche Ehre schon damals hätte verdient gehabt, als er ihm sein Leben lang leisten könnte. Es ist eben, als wenn ein Kind, das von seinen Eltern von Jugend auf wohl gehalten und reichlich versorgt wäre, zum Vater sagte: Gebet mir ein neues Kleid, ihr sollet dann mein Vater sein! Also bezahlen wir dem gnädigen Gott seine Wohlthat mit ihm selbst und sagen: sei doch mein lieber Gott, du sollst dann mein Gott sein! O der unbegreiflichen Güte des Höchsten, der so väterlich mit uns unwürdigen Menschen handelt! Also, wenn abermal König David sagt Ps. 19, 15: Laß dir wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor dir, Herr, mein Hort und mein Erlöser! so kommts mir vor, als wenn ein guter Freund dem andern sein Anliegen hat weitläufig und vertraulich entdeckt und beim Abschied sagt: Haltet mirs ja nicht für übel, daß ich euch so lange bin beschwerlich gewesen, ich habe sonst niemand, zu dem ich ein solches Vertrauen habe. O du freundlicher, liebreicher Gott! wenn ich dich doch um alle deine Liebe genug lieben könnte! Du weißt, mein Gott, wie dreist ich auch mit dir bin! Wie oft habe ich gesagt: wenn du mir nicht helfen wolltest, so solltest du mir einen andern Gott und Helfer zeigen; und habe geantwortet mit deinen eignen Worten: Ist auch ein Gott außer mir? Es ist kein Hort, ich weiß ja keinen! Jes. 44, 8. Wie oft habe ich mich der Worte deines Propheten bedient Ps. 22, 10. 11.: Du warst meine Zuversicht, da ich noch an meiner Mutter Brüsten war, auf dich bin ich geworfen aus Mutterleibe, du bist mein Gott von meiner Mutter Leibe an! und habe mir dieselben also zu Nutz gemacht: du hast mich, mein Gott! stracks in meiner Kindheit in deinen Schooß genommen und hast mir das zarte Leben erhalten, wolltest du mich denn nun in meinem Alter verlassen, wolltest du dich meiner nicht annehmen wider meine Feinde und allerlei Widerwärtigkeit, warum hast du mich denn einmal für dein Schooßkind angenommen? Nun, mein Gott/ dir sei Dank, daß ich so freudig mit dir reden und mich alles zu dir versehen darf.
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