Die Hopfenrebe

Gotthold kam in einen Hopfengarten und sah mit Lust an, wie sich dies schlanke und schwache Gewächs so artig um die zugesteckten Pfähle gewunden und bis über dieselben freudig hinaufgestiegen war. Bald dachte er, warum doch dem allweisen Schöpfer aller Dinge möchte beliebt haben, solche und dergleichen Gewächse, die zu ihrem Aufkommen fremder Hülfe und Stützen bedürfen, als den Weinstock, das Efeu, die Erbsen, die Kürbisse und andere mehr zu erschaffen? Ohne Zweifel, sprach er, ist’s auch darum geschehen, damit ich aller Orten eine Erinnerung meiner Schwachheit finden möchte. Diese Gewächse haben keine Art und fruchten nicht, wo nicht ein Pfahl ihre Schwachheit unterstützt.

So ist’s mit meiner Seele, die mit tausenderlei Schwachheiten umgeben ist. Die Sünde macht mich schwach, die Traurigkeit macht mich schwach, die äußerliche und innerliche Anfechtung macht mich schwach, und wie wollt ich bestehen und gen Himmel wachsen können, wenn nicht Gottes Kraft und der Pfahl des Kreuzes Christi Jesu mich unterhielte?

Diese Gewächse haben eine natürliche Art, eine Stütze zu suchen, wie man sie denn zuweilen so weit an der Erde kriechen und sich so lange sehnen sieht, bis sie etwas ergreifen, darum sie sich winden mögen; sie sind auch zum Teil von der Natur mit Haftlein und zarten Bändern versehen, mit welchen sie sich befestigen und selbst an ihren Unterhalt anknüpfen; also fühle ich in mir den innerlichen Trieb des Heiligen Geistes, welcher mich meiner Schwachheit stets erinnert und mich in Bußfertigkeit und Demut nach Gottes Gnade und des Herrn Jesu Kreuz sehnen macht; meine Häftlein und Bande sind meine gläubigen Seufzer, mit welchen ich den Unterhalt und Grund meiner Seligkeit, Christum Jesum, ergreife, und also bestehe ich, wie schwach ich bin, auch wider die Macht der Höllenpforten.

O allerliebster Jesu mein!
Mein'r armen Seel Hoffnung allein
Mein Herz liebt dich ganz inniglich,
Mein Seele windt sich fest um dich
O Jesu voller Ehren! 
Du stärkster und freundlichster. 
Du süßester, du liebster Herr

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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