Die Goldwage

Ein Handelsmann, der eine Summe Geldes einzunehmen hatte, hatte eine Goldwage bei der Hand, darauf er einen Dukaten nach dem andern warf, oder, wie sie redeten, aufzog, zu erfahren, ob sie vollwichtig und gültig wären. Gotthold sah dieses und sagte: Mir würde bange sein, daß die Dukaten allzuschwer wären. Wie so? sprach der andere? Meint ihr nicht, antwortete Gotthold, daß es allzuschwer Geld ist, daran Schweiß- und Blutstropfen der Einfältigen und Arbeitsamen, die Thränen der Armen, Wittwen und Waisen und der Fluch der Betrognen und Beleidigten hängen? Ich will zwar nicht hoffen, daß unter diesem eurem Gelde solche beschwerte und beschwerende Pfennige seien, nur wünschen wollt ich, daß ihr allezeit euer Gewissen die Wage ließet sein, darauf ihr einen jeden Thaler und Dukaten legtet, um eigentlich zu erfahren, ob er mit Recht oder Unrecht gewonnen. Ich erinnere mich, daß ich einmal erzählen gehört, daß eine Zauberin ihren Sohn von etwa 14 bis 15 Jahren allerlei verbotne und lose Künste gelehrt. Als nun derselbe mit etlichen andern Bauern aus demselben Dorf auf der Reise gewesen und mit seinem Wagen so geschwinde nicht folgen konnte oder wollte, als jene vorgefahren, ist er endlich vom Pferde gestiegen, hat einen kleinen Stein genommen und denselben, ich weiß nicht mit was Gemurmel, heimlich auf den ersten Wagen gelegt, welcher darauf denselben also beschwert, als wäre er mit etlichen Centnern beladen, daß der Fuhrmann nebst den Pferden müde geworden und wol langsam hat fahren müssen. Ich halte einen jeden unrechtmäßigen Pfennig für einen solchen Fluchstein, der manche Nahrung und Haushaltung also beschwert, daß der Fuhrmann zu halten genöthigt ist und nicht mehr fort kann. Und dies wäre das Geringste, wenn das Gewissen und die Seele unbelästigt blieben; allein mancher muß es erst in feinem Todeskampf erfahren, wie schwer oder vielmehr, wie unmöglich es sei, eine mit unrechtmäßigem Gut beladene Seele durch die enge Pforte, die zum Leben führt, zu bringen, allermaßen wie ein großes Stück Bauholz auf dem Wasser mit geringer Mühe von einem allein kann fortgeflößt werden, wenn’s aber ans Ufer kommt, kann er’s nicht weiter bringen und ihrer viele haben damit zu thun, daß sie es von dannen schaffen. Drum hütet euch, daß euer Herz mit solchem Gut nicht beschwert werde. Je mehr einer zu tragen hat, je mehr muß er schwitzen und stöhnen, wenn er seine Last über einen Berg tragen soll. Also im Todbette schwitzt der am meisten, dessen Gewissen mit Unrecht und Trug beladen ist. Behüte mich, mein Gott! vor solchem Gut, daran Thränen, Seufzer und Flüche hangen; besser kein Gut, als solches Gut.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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